13.08.2024
Marion Nitsch beschäftigt momentan die Ausstellung „Ärzte ohne Grenzen hautnah“. Wie sie junge Menschen und Erwachsene begeistert, erzählt sie im Interview.

Wie bist du zu Ärzte ohne Grenzen gekommen?

Ich bin im Zug gefahren und habe die Stellenanzeige damals in der Zeitung gesehen. Es ging darum, die Stelle im Bereich Bildungs- und Jugendarbeit aufzubauen. Das hat genau zu mir gepasst: Ich war schon im Bereich Bewusstseinsbildung tätig.

Mein Bewerbungsschreiben habe ich mit dem Satz begonnen: „Wenn mich jemand fragt, wann ich das letzte Mal Herzklopfen hatte: Das war, als ich diese Stellenausschreibung gesehen habe“. Ich habe Ärzte ohne Grenzen vorher schon gekannt und bewundert. Aber bis dahin dachte ich immer, da werden nur Ärzt:innen genommen. Das war für mich ein totales Aha-Erlebnis. Ich habe mich beworben, den Job auch bekommen – und bin jetzt seit Februar 2004 dabei. Das sind mehr als zwanzig Jahre!

Marion Nitsch auf der Freiluft-Ausstellung
Alena Klinger
Marion Nitsch organisiert unsere jährliche Freiluft-Ausstellung "Ärzte ohne Grenzen hautnah".

Was motiviert dich, so lange dabei zu sein?

Was mir immer wieder neuen Antrieb gibt, sind die Menschen, denen ich begegne: Sowohl jene, die auf Einsatz waren, als auch die Leute, die uns unterstützen. Viele erzählen mir auf unseren Veranstaltungen, wie toll sie unsere Arbeit finden. Vor kurzem hatte ich einen Online-Termin mit einer Schulklasse: Eine Einsatzmitarbeiterin hat dabei über die schwierigen Bedingungen im Einsatz erzählt. Seit ungefähr zehn Jahren hilft sie bereits vor Ort, und brennt vor Leidenschaft. Die Zuhörenden haben sie so bewundert, sowas nährt schon die Motivation.

Du betreust seit Jahren die Freiluft-Ausstellung „Ärzte ohne Grenzen hautnah“. Wie hat alles begonnen?

Die Geschichte der Ausstellung ist eng mit der Geschichte von Ärzte ohne Grenzen verknüpft. Die Ausstellung wurde von Kolleg:innen in Frankreich entwickelt. In den späten 90er Jahren, kurz nach der Gründung der österreichischen Sektion, kam die ursprüngliche Ausstellung erstmals nach Österreich. Ich habe sie dann mit einem Team für Kinder adaptiert, 2006 wurde sie im ZOOM Kindermuseum gezeigt. Elemente davon wurden dann jahrelang auch in den Freiluft-Ausstellungen verwendet. Nun wurde die Ausstellung komplett überarbeitet und kommt mit einem neuen Gesicht im Oktober nach Wien

Was bedeutet es, so eine Ausstellung zu organisieren? 

Ich bin keine Schreibtisch-Mitarbeiterin. Ich muss rauskommen, damit ich meine Leidenschaft für Ärzte ohne Grenzen teilen und andere damit anstecken kann. Das kann ich bei der Ausstellung, sowohl im Umgang mit Kolleg:innen als auch mit Besucher:innen. Es macht wahnsinnig viel Spaß, bei der Ausstellung eine anschauliche Geschichte zu erzählen. Und es ist toll, täglich neue Berichte aus den Einsatzgebieten zu bekommen.

Was sind die größten Herausforderungen?

Eine große Herausforderung ist es, den Transport und die Infrastruktur zu organisieren. Das kostet natürlich Geld, wir versuchen Firmen zu finden, die uns unterstützen. In diesen Zeiten ist das nicht einfach. 

Die Führungen werden von Einsatzmitarbeiter:innen durchgeführt. Das bedeutet aber, dass sich die Teamzusammensetzung kurzfristig ändern kann. Denn wir sind eine Nothilfeorganisation, und es kann sein, dass jemand spontan auf Einsatz fährt. 

Die Organisation so einer Ausstellung kostet viel Kraft. Aber man bekommt wahnsinnig viel zurück. Jedes Jahr ist es wieder schön, wie viele Schulklassen kommen. Und die viele positiven Kommentare im Gästebuch zu lesen. Am Ende des Tages dreht sich alles um die Menschen – um die Patient:innen, die Unterstützer:innen und die Kolleg:innen.

Führung Ausstellung Ärzte ohne Grenzen hautnah
Alena Klinger
Einsatzmitarbeiter:innen geben einen Einblick in ihren Arbeitsalltag.

Was sind die schönsten Momente?

Oft fragen mich die Leute, ab welchem Alter man eine Führung mitmachen kann. Wir hatten mal ein kleines Mädchen in einer Erwachsenengruppe dabei. Dazu war es ein komplexes Thema: Vernachlässigte Krankheiten. Das Mädchen musste auf die Toilette und wollte unbedingt, dass mit der Führung gewartet wird, bis sie zurück ist. Man kann jedes Thema für jede Altersgruppe aufbereiten – und damit begeistern. Das ist so schön zu sehen.

Wie erlebst du die Zusammenarbeit mit Einsatzkräften und Ehrenamtlichen?

Bei einer Ausstellung mitzuarbeiten, ist ein bisschen wie auf Einsatz zu sein. Denn die Einsatzkräfte erzählen, was sie so erlebt haben. Die Teamstimmung ist schön. Manche Einsatzkräfte machen jedes Jahr mit, manche sind zwischen den Einsätzen dabei. Dann gibt es welche, die in Österreich arbeiten und am Wochenende kommen. Auch ehemalige Einsatzkräfte können sich hier engagieren. 

Was erwartet einen bei der Freilauft-Ausstellung?

Die Freiluft-Ausstellung ermöglicht Einblicke in die Arbeit von Ärzte ohne Grenzen sowie in die humanitäre Hilfe. Wir versuchen sehr realistisch zu zeigen, wie die Rahmenbedingungen vor Ort sind: Für die Patient:innen und die Menschen, die die Hilfe leisten. Wesentlicher Teil sind unsere Einsatzkräfte, die von ihren Erlebnissen berichten. Viele Menschen, die die Ausstellung öfter gesehen haben, erleben etwas Neues. Weil sie verschiedene Führungen machen. Man sieht, wie Hilfe funktioniert, was Patient:innen erleben und Kolleg:innen vor Ort sehen.

Die Ausstellung nutzt du auch für die Jugendarbeit?

Ja, genau. Es kommen auch viele Schulklassen zur Freiluft-Ausstellung, aber ich bin rund ums Jahr für sie da. Es gibt auch kritische Fragen: Zum Beispiel, warum wir Soldaten behandeln. Das zeigt dann die Dilemmata der humanitären Hilfe. Man könnte denken, dass man nach zwanzig Jahren abgestumpft ist. Aber durch die jungen Leute, die immer wieder mit neuem Blick auf mich zukommen, bin ich gefordert mir neue Fragen zu stellen. Ich suche Austausch mit fachspezifischen Kolleg:innen, um darauf besser antworten zu können.

Klasse bei Freiluft-Ausstellung Ärzte ohne Grenzen
Viele Schulklassen besuchen die Freiluft-Ausstellung.
Viele Schulklassen besuchen die Freiluft-Ausstellung. Im Oktober wird diese in Wien stattfinden.

Was sind deine Aufgaben in der Bildungsarbeit?

Im Jugendbereich geht es darum, Bewusstsein für humanitäre Hilfe zu schaffen. Also Kinder, Jugendliche und Lehrkräfte zu begleiten, wenn sie sich für uns engagieren. Zum Beispiel wenn sie ein Kuchenbuffet organisieren, um Spenden zu sammeln. Dann schaue ich, dass auch Inhalte mittransportiert werden; dass die Jugend auch versteht, dass der Weg zum Arzt nicht für alle selbstverständlich ist. Dieses Wissen geben sie dann auch gerne weiter.

Wie machst du das?

Es sind vor allem Beispiele, die Verständnis schaffen: Dass ein Plumpynut – eine therapeutische Paste gegen Mangelernährung - 0,25 Euro kostet. Dann wissen sie: „Wenn wir 250 Euro einnehmen, können wir so-und-so-vielen Menschen helfen.“ Außerdem haben nicht alle Themen in der Öffentlichkeit Aufmerksamkeit. Da führe ich die Jugendlichen auch hin. Oft schließen sie Spendenaktionen an, wenn sie mehr erfahren haben – denn sie wollen etwas tun und bewegen.

Ich versuche mit kostenlosem Material und bei den Aktivitäten zu unterstützen. Ich freue mich total, wenn die Schüler:innen Referate machen und mich um Material bitten. Letztens hat sich eine Lehrerin bedankt, weil ich ein Interview für einen Schüler gegeben habe. Für mich ist das selbstverständlich. Denn damit wird ein Samen gelegt für später. Es mag Zeit in Anspruch nehmen, aber wenn nur bei ein paar Menschen etwas daraus wächst, dann hat es sich gelohnt.