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Das Krankenhaus im Armenviertel
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Der österreichische Logistiker Florian Eder war sieben Monate lang in einem Krankenhaus von Ärzte ohne Grenzen in Pakistan tätig. Er berichtet über seinen Einsatz in einem Slum der Millionenmetropole Karachi, das sich zwischen eine der gewaltsamsten Städte der Welt und den Indischen Ozean drängt.
Die unzähligen Unruhen der letzten Jahrzehnte in Pakistan hatten eine Reihe von Migrationsströmen zur Folge, die Flüchtlinge mit der Hoffnung auf ein besseres Leben in die Metropole und ehemalige Hauptstadt Karachi brachten. Karachi erlebt durch seine zentrale Stellung an wichtigen Handelsrouten und dem bedeutsamen Seehafen einen wirtschaftlichen Boom und einen enormen Einwohnerzuwachs – in den letzten 60 Jahren von einer Million auf 20 Millionen, die Randgebiete mitgerechnet.
Viele davon kamen in die Marcha Kolonie, in der niemand nach einem Personalausweis fragt und wo die Unterhaltskosten niedrig sind. Auf einer Fläche von nur 2,5 Quadratkilometern drängen sich mittlerweile Schätzungen zufolge bis zu 600.000 Menschen, genau weiß das aber niemand. Das entspricht der zehnfachen Bevölkerungsdichte von Manhattan. Die Stadtregierung hält diese Gegend allerdings für zukünftige Hafenprojekt reserviert und hat das Viertel nicht als Wohngebiet anerkannt – folglich gibt es kaum Unterstützung für die Infrastruktur von der öffentlichen Hand.
Im Hafen von Karachi wird ein Boot gebaut © Florian Eder / MSF
Im Herbst 2012 eröffnet Ärzte ohne Grenzen gemeinsam mit der lokalen Partnerorganisation SINA die erste Klinik in Marcha, um der Bevölkerung im Armenviertel den Zugang zu medizinischer Grundversorgung zu ermöglichen. Neben einer Ambulanz, einer Entbindungsstation, Impfprogrammen und psychologischer Betreuung ist auch ein Überweisungsystem Teil des Projekts - ernste Fälle werden im Schockraum stabilisiert und anschließend in eines der städtischen Spitäler überstellt.
Die Klinik von Ärzte ohne Grenzen und SINA im Armenviertel © Florian Eder / MSF
Fischabfälle und Müll als Einkommensquelle
"Machar Colony" - der Name des Slums wird irrtümlicherweise oft mit der lokalen Bezeichnung der Mosquitos "Machar" in Zusammenhang gebracht, was in Anbetracht der offenen Kanäle und den nahen Mangrovenwäldern – einer optimalen Brutstätte für die Stechmücken – auch naheliegend ist. Etymologisch betrachtet leitet sich der Begriff aber von der Bezeichnung der Fischer "Machaira" ab, die an der Küste von Karachi schon seit Jahrhunderten ihre Dörfer hatten. Und noch heute füllen Fischtrawler ihre Netze in der Arabischen See und löschen ihren Fang im Hafen von Karachi, einer der größten Warenumschlagplätze in Südasien. Der Beifang wird meist nebenan abgekippt, am Ufer der Marcha Kolonie, und ist dort Grundlage für das größte Business im Armenviertel. Im Morgengrauen kommen vornehmlich Frauen und Kinder, um ihre Körbe mit den Fischereiabfällen zu füllen. In den sogenannten "fisheries" werden anschließend die wertvollen Shrimps aussortiert. Das Pellen der Krustentiere kann an einem guten Tag einer Familie 100 Rupie einbringen, das entspricht rund 75 Euro Cent.
Auf der Mauripur-Road, im Hintergrund die Marcha Kolonie © Florian Eder / MSF
Die Menschen in der Kolonie haben begonnen, sich selbst zu organisieren und sich in Gemeinschaften zusammengeschlossen, die zumindest für die elementarsten Bedürfnisse sorgen. So wurden die Hauptwasserleitungen der Stadt angezapft und mit kleinen privaten Motorpumpen wird Frischwasser in das Slum gepumpt. In offenen Kanälen wird versucht, Abwasser in das arabische Meer zu leiten. Über dem Slum liegt ein stechender Geruch aus menschlichen Exkrementen und Fischabfällen. Müll wird zu Sammelplätzen gebracht und abgebrannt, nachdem der Abfall von den Ärmsten der Armen nach Verwertbaren durchsucht wurde. Das Leben im Elend hat für den Großteil der Bewohner Mangelernährung, Haut- und Atemwegserkrankungen sowie virale Infektionskrankheiten zur Folge.
Akzeptanz der Bevölkerung als Schlüssel
Mehrere Spitäler mit erstaunlich guter Versorgungqualität befinden sich im Umkreis von nur wenigen Kilometern, trotzdem scheinen sie oft außer Reichweite für die Menschen in Marcha. Auch wenn deren Wurzeln meist in fernen Gegenden liegen, ist die Welt der Slumbewohner oft sehr klein geworden, vor allem die der Frauen. So musste auch Ärzte ohne Grenzen während einer Impfkampagne gegen Masern feststellen, dass ein Abstand von 200 Metern zwischen zwei Impf-Stationen bereits unsichtbare Grenzen überschreiten kann, die es Slumbewohnern verunmöglicht zur Impfung zukommen - mobile Impfteams wurden notwendig, um auch die Kinder dazwischen zu erreichen.
Zwei Buben kommen zur Masern-Impfung © Florian Eder / MSF
Die schwierigen Machtverhältnisse sind ebenfalls Herausforderung für den Betrieb unserer Klinik. Doch Ärzte ohne Grenzen hat Vertreter verschiedener Gruppen innerhalb der Community zum Gespräch eingeladen und erklärt das Konzept der kostenfreien Behandlung für Slumbewohner. Eine einheimische Kollegin zeigte sich verblüfft über das Vorgehen von Ärzte ohne Grenzen und die folgende Akzeptanz – eine wichtige Errungenschaft. Denn wie immer arbeitet die Organisation auch in Karachi ohne bewaffnete Security Guards – die Akzeptanz der Community ist der Schlüssel, der dieses Vorgehen ermöglicht. Wenn die Community von unseren Aktivitäten überzeugt ist, werden sie Ärzte ohne Grenzen nicht in Bedrängnis bringen, sondern im Gegenteil verteidigen.
Bis zu 500 Konsultationen pro Tag
Allerdings gibt es auch Vorbehalte der Community gegenüber Ärzte ohne Grenzen: Es ist nicht einfach zu vermitteln, dass privilegierte internationale Mitarbeiter kommen, um für Mittellose zu arbeiten – ohne Hintergedanken und ohne sich selbst zu bereichern. Unzählige Gespräche mit der Gemeinschaft sowie mit religiösen und politischen Führern konnten die Bewohner aber überzeugen und die Akzeptanz für die Aktivitäten von Ärzte ohne Grenzen stärken. So konnten wir im Jahr 2013 bereits 498 Babys entbinden, 5833 medizinische Konsultationen abhalten und 14.816 Patienten behandeln - Tendenz steigend.
Die Menschen bilden vor der Aufnahme eine Schlange, um sich gegen Masern impfen zu lassen © Florian Eder / MSF
Mit bis zu 500 Konsultationen in der Ambulanz pro Tag wurde mitunter auch schon die maximale Kapazität der Klinik erreicht, eine Steigerung der Patientenzahlen ist vorerst nicht geplant. Nicht zuletzt aus logistischen Gründen, da auf einer Fläche von rund 1.100 Quadratmetern nicht nur alle medizinischen Aktivitäten durchgeführt werden, sondern auch die Wasseraufbereitung und Stromerzeugung mit Generatoren untergebracht ist. Es wartet eine neue Herausforderung für unser Team: Der Community zu erklären, dass es auch in der Klinik gewisse Limits gibt, und - die Notfallpatienten ausgenommen - abends mitunter Patienten unbehandelt nach Hause geschickt und auf den nächsten Tag vertröstet werden müssen.
Währenddessen stöhnen die Einwohner der Millionenstadt unter der steigenden Kriminalität und zahlreichen ethnischen Konflikten. Karachi ist Schauplatz von Bandenkriegen und religiöser Gewalt. 2013 war wieder ein trauriges Rekordjahr für Karachi, die Kriminalstatistik listet 3.251 Morde. Damit hat Karachi im Ranking der Mordstatistik Städte wie Rio de Janeiro oder Johannesburg bereits hinter sich gelassen.
© Florian Eder / MSF
Pakistan strauchelt unter dem Druck weltpolitischer Mächte. Zu viele Akteure wollen ihre Interessen durchsetzen und das Land nicht zur Ruhe kommen lassen - die Zukunft der Marcha Kolonie und ihren Bewohnern bleibt indes ungewiss.
Ärzte ohne Grenzen ist seit 1986 in Pakistan tätig und hilft der der lokalen Bevölkerung und afghanischen Flüchtlingen, die Opfer von bewaffneten Konflikten und Naturkatastrophen wurden oder keinen Zugang zu medizinischer Versorgung haben.
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