05.02.2025
Der Bericht “Inflicting harm and denying care” zeigt auf, wie der Zugang zur Gesundheitsversorgung im Westjordanland behindert wird.

Israelische Streitkräfte und Siedler:innen setzen seit Beginn des Krieges in Gaza im Oktober 2023 verstärkt Gewalt gegen die palästinensische Bevölkerung im besetzten Westjordanland ein. Dies geht aus einem neuen Bericht von Ärzte ohne Grenzen hervor. Nach UN-Angaben wurden zwischen Oktober 2023 und Jänner 2025 mindestens 870 Palästinenser:innen getötet und über 7.100 verletzt. Der Bericht “Inflicting harm and denying care” zeigt auf, wie der Zugang zur Gesundheitsversorgung im Westjordanland systematisch behindert wird. 

Der Bericht deckt den Zeitraum von Oktober 2023 bis Oktober 2024 ab und enthält ausführliche Interviews mit 38 Patient:innen und Mitarbeitenden von Ärzte ohne Grenzen, mit Krankenhaus- und Pflegepersonal sowie Freiwilligen, die von Ärzte ohne Grenzen bei ihren Hilfstätigkeiten unterstützt werden. Sie berichten von anhaltenden gewaltsamen israelischen Militäreinsätzen und Bewegungseinschränkungen, die den Zugang zu Basisversorgung, insbesondere im Gesundheitsbereich, erheblich behindert haben. 

Waffenstillstand in Gaza brachte Verschlechterung im Westjordanland

Die Situation hat sich seit Beginn der Waffenruhe in Gaza weiter verschlechtert. Die ohnehin schon katastrophalen Lebensbedingungen und die massiven Probleme für die psychische und körperliche Gesundheit vieler Palästinenser:innen sind schlimmer geworden. 

„Palästinensische Patient:innen sterben, nur weil sie keine Krankenhäuser erreichen können“, sagt Brice de le Vingne, Nothilfekoordinator von Ärzte ohne Grenzen. „Wir sehen, wie Krankentransporte mit Menschen in lebensbedrohlichem Zustand von israelischen Streitkräften an Kontrollpunkten blockiert werden, wie medizinische Einrichtungen während gerade stattfindenden Operationen umzingelt und durchsucht werden und wie Gesundheitspersonal körperlicher Gewalt ausgesetzt ist, während es versucht, Leben zu retten.“

Gesundheitspersonal belästigt, inhaftiert, verletzt und sogar getötet

Die Teams von Ärzte ohne Grenzen erhielten vermehrt Meldungen über Angriffe auf medizinisches Personal und Einrichtungen. Krankenhäuser und Gesundheitseinrichtungen wurden häufig vom Militär belagert und die israelischen Streitkräfte zerstören provisorische medizinische Einrichtungen in Vertriebenenlagern. Zwischen Oktober 2023 und Dezember 2024 verzeichnete die Weltgesundheitsorganisation 694 Angriffe auf das Gesundheitswesen im Westjordanland. Mitarbeitende im Gesundheitswesen fühlen sich unsicher, da sie oder ihre Kolleg:innen belästigt, inhaftiert, verletzt und sogar getötet werden. 

Ein Sanitäter des palästinensischen Roten Halbmonds beschreibt einen Vorfall in Tubas: „Israelische Streitkräfte umzingelten den Schockraum und versperrten beide Eingänge, obwohl es ganz klar war, dass es sich um ein medizinisches Gebäude handelte. Sie befahlen allen Sanitäter:innen, den Raum zu verlassen. Wir waren etwa 22 Sanitäter:innen dort. Israelische Soldaten schossen innerhalb und außerhalb des Gebäudes und beschädigten unsere Vorräte und den Schockraum selbst.“ Ärzte ohne Grenzen unterstützt den Roten Halbmond bei seiner Arbeit im Westjordanland. 

Der Zugang zur Gesundheitsversorgung wurde immer wieder eingeschränkt. Krankentransporte wurden blockiert, lebenswichtige Infrastruktur wie Straßen, Wasserleitungen und die Stromversorgung zerstört – besonders in den Flüchtlingslagern von Tulkarem und Dschenin. 

Chronisch Kranke erreichen Behandlung nicht

In abgelegenen Gebieten und am Rande von Städten wie Dschenin oder Nablus ist die Lage besonders problematisch, da Menschen mit chronischen Erkrankungen, etwa Dialysepatient:innen, aufgrund der unüberwindbaren Hindernisse die Gesundheitseinrichtungen nicht erreichen. 

Gewalt von Militär und Siedler:innen schafft Klima der Angst

Neben den israelischen Militäreinsätzen haben die Ausbreitung von Siedlungen und die Gewalt der Siedler:innen dazu geführt, dass viele Palästinenser:innen Angst haben, sich im Westjordanland zu bewegen. Laut der UN-Organisation OCHA (Office for the Coordination of Humanitarian Affairs) gab es von Oktober 2023 bis Oktober 2024 insgesamt 1.500 Angriffe israelischer Siedler:innen auf Palästinenser:innen. 

Als Besatzungsmacht ist Israel nach internationalem Recht verpflichtet, den Zugang zur Gesundheitsversorgung sicherzustellen und medizinisches Personal zu schützen.  

Das Gesundheitssystem im Westjordanland ist in einem permanenten Ausnahmezustand. Daher fordert Ärzte ohne Grenzen Israel auf, die Gewalt gegen Gesundheitspersonal, gegen Patient:innen und Gesundheitseinrichtungen zu beenden. Medizinisches Personal darf nicht länger an der Ausübung lebensrettender Tätigkeiten gehindert werden. 

Download Bericht

Hier der Bericht “Inflicting Harm and Denying Care” Patterns of Attacks and Obstructions of Healthcare in the West Bank

Werner Reiter | Ärzte ohne Grenzen

Werner Reiter

Press Officer