Neuer Bericht zeigt Ausmaß politisch verursachten Leids

10.06.2021
Ärzte ohne Grenzen ruft die EU auf, ihre Abschottungs- und Abschreckenspolitik zu beenden, die die Gesundheit von Geflüchteten in den Flüchtlingslagern bedroht.

Ärzte ohne Grenzen veröffentlicht heute den Bericht „Constructing Crisis at Europe’s Borders“ und zeigt damit das Ausmaß des Leids auf den griechischen Inseln. Die Hilfsorganisation ruft die EU auf, ihre Politik der Abschottung und Abschreckens zu beenden, die die Gesundheit von Geflüchteten in den Flüchtlingslagern bedroht. Ärzte ohne Grenzen kritisiert insbesondere den aktuellen Plan, weitere geschlossene Lager auf den Inseln zu errichten.

„Das sind keine unbeabsichtigten Folgen”, sagt Reem Mussa, humanitäre Expertin und eine der Autor:innen des Berichts, in dem die Daten aus fünf Jahren Einsatz von Ärzte ohne Grenzen auf den griechischen Inseln aufgearbeitet werden. „Seit mehr als fünf Jahren erzeugt die Politik der EU eine beispiellose Krise und enormes menschliches Leid.”
 
Ziel des EU-Modells der Lager an den Grenzen ist nicht nur, Asylanträge zu bearbeiten, sondern auch Menschen davon abzuhalten, in Europa Zuflucht zu suchen. Menschen, die auf der Flucht Gewalt und Not erlebt haben, sitzen unter entsetzlichen Bedingungen fest, ohne zu wissen, wie es für sie weitergeht. Lebensnotwendige Güter werden vorenthalten. Auf Samos etwa gab es über ein Jahr lang nicht einmal sauberes Trinkwasser. Ärzte ohne Grenzen musste die Menschen mit Tanklastern versorgen. Das System gefährdet Menschenleben und höhlt das Recht auf Asyl aus.
 
2019 und 2020 hat Ärzte ohne Grenzen in den psychologischen Kliniken auf Lesbos, Samos und Chios insgesamt 1.369 Patient:innen behandelt. Viele zeigten schwere Krankheitsbilder wie eine posttraumatische Belastungsstörung. 180 Menschen, davon zwei Drittel Kinder, mussten wegen Selbstverletzungen und Suizidversuchen behandelt werden. Das jüngste Kind war sechs Jahre alt.

Geplante Mehrzwecklager verschlimmern die Situation

Patient:innen berichten, wie sie unter der dauerhaften Belastung leiden, dem Leben unter schwersten Bedingungen, komplizierten Behördenvorgängen und Asylprozeduren, Unsicherheit, Gewalt, Trennung von Angehörigen und der mangelnden Gesundheitsversorgung. Ärzte ohne Grenzen übernimmt in den Lagern teilweise die medizinische Grundversorgung. Die EU und die griechische Regierung verschärfen die Krise noch weiter, indem sie neue geschlossene Mehrzwecklager an abgelegenen Orten auf den griechischen Inseln planen. Eines wird bereits auf Samos gebaut und könnte noch in diesem Monat in Betrieb genommen werden.

„Die EU behauptet, dass sie die Situation verbessern will, doch sie und die griechische Regierung geben Millionen Euro aus, um ihre Politik, die schon so viel Schaden angerichtet hat, noch weiter zu verschärfen”, sagt Iorgos Karagiannis, Einsatzleiter von Ärzte ohne Grenzen in Griechenland. „Das Lager Moria dient als Blaupause für das neue gefängnisähnliche Zentrum auf Samos. Dort sollen Menschen in Schiffscontainern festhalten werden, umgeben von Stacheldraht, mit kontrolliertem Ein- und Ausgang. Das kann man nicht als eine Verbesserung der Lebensbedingungen verkaufen. Stattdessen wird dieses neue Lager die psychische Gesundheit der Menschen weiter verschlechtern."
 
„Noch ist es nicht zu spät für Mitgefühl und gesunden Menschenverstand”, mahnt Reem Mussa. „Die EU und ihre Mitgliedsstaaten müssen sicherstellen, dass die Menschen, die in Europa ankommen, Zugang zu dringend benötigter Hilfe haben. Eine Umsiedlung für die Aufnahme und Integration in ganz Europa muss erleichtert werden."

Bericht downloaden

Den Bericht „Krise mit Vorsatz“, in dem sich auch eine Analyse der medizinischen Daten aus fünf Jahren Einsatz von Ärzte ohne Grenzen auf den griechischen Inseln findet, können Sie hier runterladen.