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Mittelmeer: Ärzte ohne Grenzen kritisiert lebensgefährliche Manöver von libyscher Küstenwache
Teams von Ärzte ohne Grenzen sind am vergangenen Wochenende Zeugen von zwei gefährlichen Manövern der von der Europäischen Union (EU) unterstützten libyschen Küstenwache geworden. Bei den Vorfällen wurden die Gesundheit und das Leben von Hunderten Schutzsuchenden vorsätzlich gefährdet.
Ärzte ohne Grenzen appelliert an die EU und ihre Mitgliedsstaaten, die finanzielle und materielle Unterstützung der libyschen Küstenwache und die damit einhergehende erzwungene Rückführung von Menschen nach Libyen zu beenden.
„Verblendet von dem alleinigen Ziel, die Ankunft von Geflüchteten und Migrant:innen an den europäischen Küsten zu verhindern, unterstützen die EU und ihre Mitgliedstaaten aktiv gewaltsame Pushbacks”, sagt Juan Matias Gil, Leiter der Seenotrettung bei Ärzte ohne Grenzen. „Sie riskieren damit, dass Menschen zurück nach Libyen gebracht werden, wo ihnen Folter und Misshandlung drohen.”
Am vergangenen Freitag wurde das Team von Ärzte ohne Grenzen Zeuge eines Pushbacks der libyschen Küstenwache. Dies geschah in internationalen Gewässern, deutlich außerhalb des Zuständigkeitsbereichs der libyschen Küstenwache, in der maltesischen Such- und Rettungszone. Trotz des Angebots der Organisation, Hilfe zu leisten und die Menschen an einen sicheren Ort zu bringen, koordinierten die maltesischen Behörden und Frontex die Besatzung eines von Italien gespendeten Patrouillenschiffs der libyschen Küstenwache, um mehr als 100 Menschen abzufangen und gewaltsam nach Libyen zurückzubringen.
Am Samstag (16. März) behinderte ein weiteres Patrouillenschiff der libyschen Küstenwache, das ebenfalls von der italienischen Regierung gespendet wurde, über zwei Stunden lang aggressiv die Rettungen von Ärzte ohne Grenzen und gefährdete so 146 Menschen in Not auf einem Holzboot in internationalen Gewässern. Ärzte ohne Grenzen hatte bereits begonnen, die Menschen auf die Geo Barents zu bringen, als die libysche Küstenwache versuchte, die Rettungsaktion zu stoppen. Zudem versuchten sie, eines der Rettungsboote der Organisation gewaltsam zu entern, während sie den Mitarbeitenden mit Repressalien und der Verschleppung nach Libyen drohten.
In der Zwischenzeit trieb ein weiteres Glasfaserboot mit 75 Menschen an Bord etwa 50 Seemeilen entfernt und füllte sich mit Wasser. Obwohl die libyschen Behörden um die Mittagszeit über die Situation informiert wurden und wiederholt sagten, dass ein Patrouillenschiff unterwegs sei, vergingen zehn Stunden, ohne dass die libysche Küstenwache eine Rettungsaktion startete.
„Als wir vor Ort ankamen, war die Situation kritisch. Das Boot war bereits dabei zu sinken. Die Menschen waren verängstigt", sagt Virginia Mielgo, Projektkoordinatorin an Bord der Geo Barents. „Dann kenterte das Boot und etwa 45 Menschen stürzten ins Wasser. Glücklicherweise hatten wir bereits Rettungswesten an alle verteilt und die Kinder in Sicherheit gebracht, von denen einige jünger als drei Jahre alt waren. Es war eine Frage von Minuten, bis die Situation eine tragische Wendung hätte nehmen können."
Die Ereignisse vom Wochenende sind ein weiterer deutlicher Beweis für die fehlenden Such- und Rettungskapazitäten im zentralen Mittelmeer und für die völlige Missachtung von Menschenleben durch die EU und ihre Mitgliedstaaten.
Seit 2017 haben die EU und Italien mindestens 59 Millionen Euro ausgegeben, um die libysche Küstenwache auszurüsten und auszubilden, damit sie Ankünfte in Europa verhindern kann. Anstatt in proaktive Such- und Rettungskapazitäten zu investieren oder die Rettungsschiffe von Nichtregierungsorganisationen zu koordinieren, um die Menschen an einen sicheren Ort zu bringen, hat sich die EU bewusst dafür entschieden, die erzwungene Rückführung der Menschen nach Libyen zu unterstützen, wo sie körperlicher und sexualisierter Gewalt, Zwangsarbeit und Erpressung ausgesetzt sind.
„Wie lange noch werden die EU-Regierungschefs die schrecklichen Menschenrechtsverletzungen an ihren Grenzen mittragen?", sagt Gil. „Die EU und ihre Mitgliedstaaten müssen nicht nur sofort jegliche Unterstützung für die libysche Küstenwache einstellen, sondern auch die Verantwortung ihrer Küstenstaaten für die unrechtmäßigen Rückführungen, in diesem Fall Maltas und ihrer Grenzschutzagentur Frontex, untersuchen. Wenn das nicht geschieht, machen sie sich mitschuldig an schweren Menschenrechtsverletzungen."
Die Geo Barents hat inzwischen den Hafen von Carrara erreicht.