Interview: „Wir kommen einem Ebola-Impfstoff näher.“

31.07.2015
Interview mit Bertrand Draguez, medizinischer Leiter bei Ärzte ohne Grenzen

Themengebiete:

MSF Ebola Vaccine Clinical Trial
Yann Libessart/MSF
Guinea, 17.04.2015: Der experimentelle Ebola-Impfstoff rVSV-EBOV scheint vielversprechend zu sein.

Ein Zwischenbericht, der heute in der medizinischen Fachzeitschrift „The Lancet“ veröffentlicht wird, deutet auf sehr vielversprechende Ergebnisse für einen getesteten Ebola-Impfstoff-Kandidaten hin: Interview mit Bertrand Draguez, medizinischer Leiter bei Ärzte ohne Grenzen.

Laut Zwischenbericht zeigt der Impfstoff rVSV-EBOV 100 Prozent Wirksamkeit. Die klinische Studie wird von der WHO, dem Norwegian Institute of Public Health und guineischen Behörden durchgeführt und startete im März 2015. Geimpft wurden „Ringe“ von Kontaktpersonen infizierter Ebola-Patienten sowie Personal, das direkt mit Infizierten oder Verstorbenen in Kontakt kommt und so Gefahr läuft, sich mit Ebola anzustecken.

Ärzte ohne Grenzen ist an der klinischen Studie beteiligt und hat den Impfstoff 1.200 Menschen in Guinea verabreicht, die in vorderster Reihe Ebola bekämpfen, wie zum Beispiel Ärzte, Pflegepersonal, Sanitäter, Laboranten, Reinigungskräfte und Beerdigungs-Teams.

Dr. Bertrand Draguez ist bei uns zuständig für Fragen zur Ebola-Forschung und erläutert, was diese Ergebnisse für den Kampf gegen die Krankheit bedeuten. 

Was sagen uns die vorläufigen Daten der Studie?

Die vorliegenden Daten sagen uns, dass der Impfstoff Menschen effektiv gegen Ebola schützt. Auch wenn er bislang erst an einer kleinen Stichprobe von Probanden getestet wurde und noch viel mehr Forschung und Analyse nötig ist, sollte dieser Impfstoff angesichts des Ausmaßes der gegenwärtigen Epidemie angewendet werden, um Menschen zu schützen, die Ebola unmittelbar ausgesetzt sind: wie Kontaktpersonen Infizierter sowie die Menschen, die Ebola in vorderster Reihe bekämpfen.

Wie vielversprechend sind diese vorläufigen Ergebnisse?

Zum allerersten Mal haben wir hier den Nachweis erhalten, dass ein Impfstoff gegen Ebola tatsächlich wirksam ist. Es sind schon zu viele Menschen an dieser extrem tödlichen Krankheit gestorben, und für die medizinischen Helfer wie Ärzte und Pflegekräfte war es sehr frustrierend, im Kampf gegen Ebola so machtlos zu sein. Es handelt sich um einen einzigartigen Durchbruch – doch wir brauchen noch mehr Daten, um sagen zu können, wie wirksam diese Prävention tatsächlich ist. Unklar ist zum Beispiel noch, wie schnell der Schutz einsetzt und wie lang er anhält. All dies muss noch weiter erforscht werden.

Was bedeutet das im Kampf gegen Ebola?

Das derzeitige Muster der Epidemie, bei dem sporadisch relative kleine Übertragungsketten auftauchen, bedeutet, dass wir die Krankheit in allen Bereichen weiter bekämpfen müssen. Dies umfasst Behandlung, Isolierung, Arbeit mit den Gemeinden, sichere Bestattungen, Gesundheitsaufklärung, psychosoziale Unterstützung und das Abverfolgen der Kontakte.

Ein präventives Gesundheitsprodukt wird die Unterbrechung der Übertragungsketten beschleunigen, indem gezielt die Kontaktpersonen der Erkrankten und Verstorbenen sowie die medizinischen Helfer geimpft werden.

Wie kann dieses neue Mittel bestmöglich eingesetzt werden?

Nachdem wir wissen, dass der Impfstoff wirkt, sollten diejenigen, die ihn am dringendsten brauchen, ihn unbedingt so schnell wie möglich bekommen, um die existierenden Übertragungsketten zu unterbrechen. Der gezielte Ansatz der klinischen Studie sollte sofort auf weitere Personen, die ebenfalls einem hohen Risiko ausgesetzt sind, ausgeweitet werden. Die Regierungen der betroffenenen Länder sollten den Impfstoff so schnell, wie es ihnen nur möglich ist, im Rahmen der klinischen Studie einsetzen.

Sollte es in allen betroffenen Ländern groß angelegte Impfkampagnen geben?

Im Moment treten die Ebola-Fälle in der Region in so genannten Hotspots auf, die lokal recht begrenzt sind.  Wir sollten unsere Energie und Mittel daher darauf konzentrieren, die Menschen rund um diese infizierten Patienten zu impfen. Sie sind diejenigen, die das größte Risiko einer Infektion tragen.

Wie hat sich Ärzte ohne Grenzen an der Studie beteiligt?

Ärzte ohne Grenzen beteiligt sich selten selbst an Studien. Doch angesichts des enormen Ausmaßes der Epidemie und der Rolle, die wir als direkt Helfende im Ebola-Gebiet haben, entschieden wir uns teilzunehmen. In Guinea haben wir in der ersten Phase der klinischen Studie bislang 1.200 Menschen geimpft, die in vordersten Reihe gegen Ebola kämpfen. Nachdem jetzt die vorläufigen Ergebnisse vorliegen, die die Wirksamkeit zeigen, sind wir entschlossen, unsere Beteiligung noch auszubauen und an vergleichbaren Studien in Sierra Leone und Liberia mitzuwirken.

Wird sich der Ansatz von Ärzte ohne Grenzen in den betroffenen Ländern nun ändern?

Die Ergebnisse sind vielversprechend und wir sollten den Impfstoff für Risikogruppen unbedingt so bald wie möglich zur Verfügung stellen. Genauso ist es unverzichtbar, alle anderen bewährten Komponenten der Ebola-Bekämpfung weiterhin anzuwenden, das heißt  Kontaktpersonen ab zu verfolgen, sowie die Gesundheitsaufklärung und die Isolierung der Infizierten fortzusetzen.