„Wenn die heftigen Luftangriffe weitergehen, sind unsere Reserven bald erschöpft“

19.11.2016
Der belagerte Osten der Stadt Aleppo wird wieder aus der Luft bombardiert. Ein Arzt aus einem der wenigen noch geöffneten Krankenhäuser berichtet von den schwierigen Arbeitsbedingungen.
East Aleppo
KARAM ALMASRI/MSF
A doctor stitches the ear of a man injured in airstrikes on Bab Al Nayrab district, east Aleppo.

Der Ostteil Aleppos wird wieder aus der Luft bombardiert. Nach Angaben von Mitarbeitern der dortigen von Ärzte ohne Grenzen unterstützten Krankenhäuser wurden am 16.11.2016 bei Luftangriffen erneut medizinische Einrichtungen getroffen, darunter auch eine Kinderklinik. Ein Arzt aus einem der wenigen noch geöffneten Krankenhäuser im belagerten Teil der syrischen Metropole berichtet hier von den schwierigen Arbeitsbedingungen.

„Bis Montag war es in Ost-Aleppo einige Wochen lang relativ ruhig. Es gab nur vergleichsweise leichten Granatenbeschuss. Doch am Dienstag eskalierte die Situation plötzlich, mit mehr als 100 Angriffen und einer erschreckenden Zahl verwundeter Menschen. 

In nur zwei Stunden, zwischen 13 und 15 Uhr, trafen 55 Verwundete in unserem Krankenhaus ein. 13 von ihnen nahmen wir stationär auf, drei starben. Alle anderen mussten wir zurück nach Hause schicken. Die Patienten hatten alle möglichen Verletzungen, von oberflächlichen Wunden über verletzte Gliedmaßen bis hin zu neurologischen Verletzungen.

Wenn es draußen zu Angriffen mit vielen Verwundeten kommt, lassen wir alles stehen und liegen. Wir konzentrieren uns dann nur auf die Versorgung der Verletzten. Operationen, die nicht lebensnotwendig sind, müssen warten, bis der Angriff vorüber ist oder unser Chirurg mehr Zeit hat.“

Amputieren statt heilen 

„Wenn es ruhiger ist, können wir unsere Patienten länger dabehalten und pflegen. Doch in einer Ausnahmesituation, wie wir sie momentan erleben, müssen wir sie schon eine oder zwei Stunden nach der Operation wieder entlassen. Am stärksten gefährdet sind Patienten mit Kopfverletzungen und neurologischen Verletzungen. 70 bis 80 Prozent von ihnen sterben.

Viele Menschen, die zu uns kommen, haben verletzte Gliedmaßen. Für die meisten können wir nichts tun und am Ende bleibt uns nur die Amputation. Wir haben nicht genügend Zeit, es gibt zu wenige Ärzte, Operationssäle und Medikamente. Unsere Handlungsspielräume sind gering.“

Angriffe auf medizinische Einrichtungen

„Am Dienstag schlug eine Granate etwa 20 Meter entfernt von unserem Krankenhaus ein. Diesmal blieben wir unversehrt. In den vergangenen Monaten sind wir fünfmal gezielt angegriffen worden: Einmal im Juni, zweimal im Juli und zweimal im September. Jedes Mal mussten wir den Betrieb für mehrere Tage einstellen, um Schäden zu beheben und aufzuräumen. Dann öffneten wir das Krankenhaus wieder.

Wir können nicht viel tun, um uns gegen solche Angriffe zu wappnen. Im Frühsommer haben wir angefangen, unter dem Krankenhaus einen Schacht auszuheben. Doch nach dem Beginn der Belagerung konnten wir kein Baumaterial mehr auftreiben und mussten aufhören. Wir haben auch mit dem Bau einer Mauer begonnen. Sie blieb ebenfalls unvollendet.“

Medizinischem Personal droht Handlungsunfähigkeit

„Unsere Generatoren stehen weit weg vom Krankenhaus, an einem sicheren Ort unter der Erde. Doch allmählich geht uns der Treibstoff aus. Unsere Medikamente für chronische Erkrankungen sind schon aufgebraucht und unsere Reserven an Schmerzmitteln und Antibiotika gehen auch zur Neige.

Aufgrund der zunehmenden Heftigkeit der Bombardements und der steigenden Zahl von Angriffen kommen mehr und mehr Patienten zu uns und unsere Reserven werden immer schneller aufgebraucht. Wenn Verwundete versorgt werden müssen, können Medikamente und Verbandsmaterial nicht für später zurückgehalten werden. Die Behandlung verwundeter Menschen ist wichtiger als alles andere.

Wir haben gehofft, dass unsere derzeitigen Reserven für 10 Tage reichen. Doch wenn die heftigen Luftangriffe weitergehen, werden sie nur für drei oder vier Tage ausreichen. Dann werden wir den Menschen nicht mehr helfen können. Bis dahin tun wir einfach unser Möglichstes.“