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„Weil sie uns zu Hause töten“
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In mexikanischen Grenzstädten wie Reynosa oder Nuevo Laredo leben tausende Migranten unter ärmlichsten Bedingungen. Die Einreise in die USA bleibt ihnen verwehrt – aber die meisten von ihnen können ebenso wenig zurück in ihre Heimatländer.
Derzeit leben Tausende Asylsuchende, Migrantinnen und Migranten in mexikanischen Grenzstädten, wo sie großen Gefahren ausgesetzt sind. Die Gewalt in ihren Heimatländern lässt ihnen keinen Weg zurück. Sie leben von wenig Geld, ohne Zugang zu medizinischer oder rechtlicher Hilfe und in Ungewissheit über ihre Zukunft. Ärzte ohne Grenzen/Médecins Sans Frontières (MSF) versucht mit psychologischer und medizinischer Hilfe das Leid der Menschen zu lindern. Nach mehrfachen traumatischen Erlebnissen brauchen sie dringend Sicherheit und eine Perspektive.
Sie leben in Sammelunterkünften und auf den gefährlichen Straßen der mexikanischen Grenzstädte Reynosa, Mexicali und Nuevo Laredo. Sie leben in Ungewissheit, weil die US-Regierung sie zwingt, in Mexiko zu bleiben. Tausende Asylsuchende, Migrantinnen und Migranten fürchten nun um ihre Sicherheit und blicken in eine ungewisse Zukunft. Das betrifft ebenso diejenigen, die ihren Asylantrag legal in den Vereinigten Staaten gestellt haben.
Auch wenn die US-Regierung durch die Proklamierung des „nationalen Notstandes“ an der Grenze zu Mexiko die Lage verschärft hat, ist die eigentliche Krise die schreckliche Gewalt und die unmenschliche Behandlung, die viele Menschen in ihren Herkunftsländern erfahren müssen. Es ist diese Gewalt, die Tausende Familien aus Guatemala, Honduras und El Salvador veranlasst, die schwere Entscheidung zu treffen, ihr Land Richtung Norden zu verlassen.
Die Gewalt begleitet sie
Sie reisen an die Grenze, um Schutz vor Missbrauch und Gewalt zu suchen. Doch die Gewalt begleitet sie. Erst auf ihrem Weg durch Mexiko und dann, wenn sie an der Grenze festsitzen. „Entlang der Grenze, in Nuevo Laredo, sind Entführungen an der Tagesordnung. Aus diesem Grund laufen Migranten nicht auf der Straße, es ist zu gefährlich", sagt Felipe Reyes. Felipe ist Psychologe bei Ärzte ohne Grenzen. Er half bei der Unterbringung von Geflüchteten in zwei Unterkünften in der Stadt, La Casa Amar und Casa del Migrante Nazaret. Hier leisten wir medizinische, psychologische und soziale Unterstützung für Hunderte von Menschen.
"Es ist eine sehr schwierige Situation für die Menschen mit denen ich spreche. Sie müssen sich mit Traurigkeit, Depressionen, Schuldgefühlen und Selbstmordgedanken auseinandersetzen“, erklärt Felipe. „Sie haben Schlafstörungen und leiden unter Angst, weil die Wartelisten für die Einleitung von Asylverfahren sehr lang sind, ihr Ausgang ungewiss." Er und seine Kollegen beobachten diese Art seelischer Traumata jeden Tag.
„5.000 Dollar Lösegeld, umsonst“
Der Honduraner José wurde während seiner langen Reise durch Mexiko ausgeraubt und verschleppt. Aufgrund von Todesdrohungen gegen seine Familie floh er mit seinen Geschwistern an die mexikanische Grenze. Doch sie fanden keinen Schutz. José erinnert sich schmerzvoll an die Entführung seiner Schwester, als sie in Nuevo Laredo ankamen.
"Als wir aus dem Bus stiegen, schleppten einige Männer meinen Bruder und mich weg, meine Schwester brachten sie woanders hin. Nach ein paar Stunden wurden mein Bruder und ich freigelassen, meine Schwester jedoch nicht. Wir haben bisher noch keine Nachricht von ihr erhalten. Ich weiß nicht, wer uns helfen kann. Wir trauen der Polizei hier nicht. Unser Plan war es, einen Asylantrag in den USA zu stellen. Ich möchte hier aber nicht weg, solange ich nicht weiß was mit ihr passiert ist".
In unseren Einrichtungen sehen wir, wie schwierig es für die Menschen und ihre Familien ist, sich ein neues Leben aufzubauen und eine neue Identität zu finden. Sie leben in Mexiko inmitten der Angst und befürchten zugleich, in ihre Herkunftsländer zurückkehren zu müssen.
„Die Gangs ließen uns keine andere Wahl“
Margarita, eine 36-jährige Migrantin aus Guatemala, floh mit ihrem Mann und ihren drei Töchtern im Alter von sechszehn, sieben und sechs Jahren an die mexikanische Grenze. "Wir wurden zwei Jahre lang erpresst, bis der Tag kam, an dem wir nicht mehr bezahlen konnten. Ich habe mein Haus verpfändet und wir haben alles verkauft", erinnert sie sich. „Hier haben sie uns ein humanitäres Visum gegeben. Mein Traum war nie der American Dream, aber Mexiko ist keine Option für meine Familie."
Am Busbahnhof von Nuevo Laredo wurden sie beinahe entführt. "Sie wollten meine Töchter nehmen, ich schrie mit all meiner Kraft und wir schafften es zu entkommen“, erzählt Margarita. „Wir werden hier warten, wie es uns gesagt wurde, bevor wir dann Asyl in den Vereinigten Staaten beantragen." Sie sagt es mit Resignation, da sie weiß, dass ihr momentan keine andere Wahl bleibt. Ihre jüngste Tochter ist sich trotz ihrer sechs Jahre bewusst, was ihre Familie durchlebt hat. Auf die Frage "Willst du, dass wir zurück nach Guatemala gehen?" antwortet sie ohne zu zögern: "Nein, weil sie dich dort töten."