Ukraine: Kämpfe lassen nach, medizinische Situation weiterhin kritisch

04.03.2015
Weiterhin dringender Bedarf an medizinischen Leistungen auf beiden Seiten der Frontlinie im Osten der Ukraine - Ärzte ohne Grenzen baut medizinische Aktivitäten in besonders hart getroffenen Gebieten aus.
Mobile Clinic in Kuteynikovo, south-east of Donetsk
Corinne Baker/MSF
Kuteynikovo, Ukraine, 14.02.2015: Dr. Wael Kilani während einer Sprechstunde in der Ambulanz in Kuteynikovo. Unsere Teams führen in drei kleinen Städten südöstlich von Donetsk zwei Mal wöchentlich mobile Kliniken durch.

Auch wenn die Gefechte in der Ostukraine seit dem Inkrafttreten der Waffenruhe vom 15. Februar nachgelassen haben, kommt es in einigen Gebieten weiterhin zu Bombenangriffen. Auf beiden Seiten der Frontlinie herrscht ein dringender Bedarf an medizinischen Leistungen. Einwohner und Vertriebene leben unter prekären Bedingungen, zahlreiche ärztliche Einrichtungen wurden beschädigt oder zerstört und es fehlt an Medikamenten und medizinischem Material. Zehn Monate nach Ausbruch des Konflikts hat sich die humanitäre Lage deutlich verschlechtert. Ärzte ohne Grenzen hat deshalb die medizinischen Aktivitäten in besonders hart getroffenen Gebieten entsprechend ausgebaut.

Am 21. Februar gelang es einem Team von Ärzte ohne Grenzen, in die belagerte Stadt Debalzewe zu gelangen. Dort konnte aufgrund der heftigen Kämpfe bisher keine humanitäre Hilfe geleistet werde. Seit September 2014 hatte Ärzte ohne Grenzen das örtliche Spital mit Medikamenten- und Materiallieferungen unterstützt.

Stadt Debalzewe ist verwüstet

„Die Stadt liegt in Trümmern“, berichtet Olivier Antonin, Nothilfekoordinator von Ärzte ohne Grenzen. „Die Gebäude haben zersprungene Fensterscheiben, auf dem Boden liegen weggerissene Äste und im Wind flattern abgetrennte Stromleitungen. Die Menschen, die noch dort geblieben sind, leben in Schutzräumen oder Kellern, da es in den Häusern eisig kalt ist. Es gibt weder Strom, Heizung noch fließendes Wasser in der Stadt. Die Leute sind verstört. Viele sind auf Medikamente gegen chronische Krankheiten angewiesen. Sie baten uns um Hilfe.“

Die beiden Spitäler der Stadt wurden beschädigt; eines ist außer Betrieb. In der ganzen Stadt gibt es nur noch drei Ärzte – den leitenden Arzt des Zentralspitals sowie zwei weitere. Sie haben in einem Verwaltungsgebäude am Hauptplatz der Stadt einen provisorischen Posten eingerichtet. Obwohl die meisten geflohen oder evakuiert worden sind, sind derzeit noch rund 5.000 der vormals 25.000 Einwohner in der Stadt; viele von ihnen brauchen dringend medizinische Hilfe. Ärzte ohne Grenzen hat Material zur Versorgung von Kriegsverletzten sowie Bedarfsmaterial wie Spritzen, Katheter und Handschuhe bereitgestellt, und ein Arzt der Organisation hält Sprechstunden ab.

Gegenwärtig evaluieren Teams von Ärzte ohne Grenzen die Lage um die Stadt Horliwka, wo der österreichische Chirurg Dr. Michael Rösch während des heftigsten Beschusses im Januar das Spital Nr. 2 unterstützt hat (siehe Bericht). Am 25. Februar suchte ein Team von Ärzte ohne Grenzen die kleine Stadt Uglegorsk auf, deren Spital unter Granatenbeschuss gekommen war. Das Team begann, mobile Kliniken zu betreiben und psychologische Hilfe anzubieten und plant eine Verteilung von lebensnotwendigen Gütern an tausend Familien.

Mangelnde medizinische Versorgung

In den Regionen Donezk und Luhansk ist Ärzte ohne Grenzen in 19 Ortschaften mit mobilen Kliniken unterwegs, um den Bewohnern der ländlichen Gebiete sowie Vertriebenen des Konflikts eine medizinische Grundversorgung zur Verfügung zu stellen. In nur drei Wochen hielten die Ärzteteams von Ärzte ohne Grenzen mehr als 1.500 Sprechstunden ab.

„Wir haben es häufig mit Atemwegsinfektionen zu tun, da zahlreiche Menschen in unbeheizten, feuchten und überfüllten Kellern leben“, erklärt Zahir Muhammad Khan, Arzt von Ärzte ohne Grenzen in der Stadt Swjatogorsk, die hundert Kilometer nördlich von der Front liegt. Dort betreibt Ärzte ohne Grenzen mobile Kliniken, nachdem infolge der Eskalation der Kämpfe im Januar über 3.000 Menschen dorthin geflohen sind.

Medikamente sind knapp und teuer

Da der Osten des Landes seit letztem Sommer von Arzneimitteln weitgehend abgeschnitten ist, herrscht nun ein gravierender Medikamentenmangel. Außerdem sind die medizinischen Einrichtungen, die sich in Gebieten unter der Kontrolle der Separatisten befinden, im Gesundheitsbudget der Ukraine für das Jahr 2015 nicht mehr berücksichtigt. Die Bewohner zögern einen Arztbesuch deshalb so lang wie möglich hinaus – auch, da die Medikamentenpreise erheblich gestiegen sind. Menschen mit chronischen Krankheiten leiden besonders unter dieser Situation. Sie machen auch den größten Teil der Patienten und Patientinnen in den mobilen Kliniken von Ärzte ohne Grenzen aus.

Am schlimmsten ist die humanitäre Lage in der Region Luhansk, wo es neben Medikamenten auch an anderen grundlegenden Produkten fehlt, insbesondere an Nahrungsmitteln. Die meisten Menschen, die jetzt noch dort sind, sind jene, die nicht fliehen konnten: ältere Menschen, Kranke oder Menschen mit einer Behinderung. Zusätzlich zu den mobilen Kliniken in den ländlichen Gebieten unterstützt Ärzte ohne Grenzen dort auch soziale Einrichtungen. Die Teams halten Sprechstunden ab und stellen Medikamente und hygienische Ausrüstung zur Verfügung.

Seit Mai 2014 haben die Teams von Ärzte ohne Grenzen in den Regionen Donetsk, Luhansk und Dnipropetrowsk fast 100 Einrichtungen auf beiden Seiten der Front mit Medikamenten und medizinischem Bedarfsmaterial versorgt.