Syrische Flüchtlinge im Libanon: „Diese Krise darf nicht vergessen gehen“

27.01.2015
Winter erschwert harsche Lebensbedinungen von rund 40.000 Flüchtlingen in der Bekaa-Ebene
Im Jänner 2015 brachte ein Wintersturm in der Bekaa-Ebene, wo viele Flüchtlinge hausen, Schnee, Hagel und eisigen Nebel mit sich.
Ghazal Sotoudeh/MSF
Bekaa-Ebene, Libanon, 17.01.2015: Fast vier Jahre sind seit dem Ausbruch des Syrien-Konflikts vergangen. Die Familien, die vor der Gewalt in ihrem Land geflohen sind, leben unter erbärmlichen Bedingungen in behelfsmäßigen Zeltsiedlungen. Im Jänner 2015 brachte ein Wintersturm in der Bekaa-Ebene, wo viele Flüchtlinge hausen, Schnee, Hagel und eisigen Nebel mit sich.

Der Winter erschwert das Leben von rund 40.000 syrischen Flüchtlingen, die seit mehreren Jahren unter prekären Bedingungen in der libanesischen Bekaa-Ebene leben. Ärzte ohne Grenzen betreibt vor Ort vier Kliniken. Wenn die Wetterbedingungen besonders rau sind, steigen auch die Patientenzahlen. Die Beschwerden reflektieren die Situation dieser Menschen, in die sie der Krieg in ihrem Heimatland gezwungen hat.

Eine harte Winterphase haben sie soeben überstanden. Doch die Lebensbedingungen der syrischen Flüchtlinge, die seit mehreren Jahren in der Bekaa-Ebene Unterschlupf suchen, bleiben prekär. Mittlerweile spielt die Jahreszeit fast keine Rolle mehr. Im Winter müssen die Menschen mit frostigen Nächten und starkem Schneefall fertigwerden, der ihre instabilen Zelte häufig zum Einstürzen bringt. Im Sommer sind sie der erbarmungslosen Hitze ausgesetzt. Zudem können jederzeit Regenfälle Überschwemmungen und Schlamm mit sich bringen.

Außerdem haben die Menschen kaum Zugang zu der medizinischen Versorgung, die viele von ihnen so dringend benötigen würden.

Krankheiten als Folge der harten Lebensbedingungen

Diese schwierigen Bedingungen kommen nicht überraschend. „Seit dem Ausbruch des Konflikts in Syrien sind schon fast vier Jahre vergangen“, betont Thierry Coppens, unser Landeskoordinator im Libanon. „Die Familien leben unter erbärmlichen Bedingungen in behelfsmässigen Zeltsiedlungen, die über das ganze Land verteilt sind.“ Die Behausungen wurden hastig auf Brachflächen, in verlassenen Gebäuden, Garagen oder Schuppen eingerichtet. „Die Hilfe für diese gefährdeten Menschen muss unbedingt weitergehen“, fügt Thierry Coppens hinzu. „Diese Krise darf nicht vergessen gehen.“

Besondere Sorge bereitet Coppens, dass die Flüchtlinge kaum Zugang zu einer kostenlosen Gesundheitsversorgung von entsprechender Qualität haben – dabei ist der Bedarf enorm. Im Dezember 2014 führten die Teams von Ärzte ohne Grenzen in der Bekaa-Ebene rund 5.000 Sprechstunden durch – die Zahl für Jänner dürfte um einiges höher liegen. „Derzeit kommen immer mehr syrische Flüchtlinge mit Atemwegserkrankungen zu uns“, berichtet Dr. Bilal Kassem, der in Baalbek für Ärzte ohne Grenzen tätig ist. „Eine direkte Folge des harten Winters und der prekären Lebensbedingungen. Die Menschen in diesen Lagern haben nur beschränkt Zugang zu Trinkwasser und leben unter sehr schlechten hygienischen Bedingungen, so dass ein hohes Risiko für ansteckende Krankheiten besteht. Hinzu kommt der tägliche Kampf, etwas Essbares zu finden – der Nahrungsmangel schwächt den Organismus zusätzlich.“

Teams besuchen Familien in abgelegenen Siedlungen

Die Teams von Ärzte ohne Grenzen bieten nicht nur medizinische Versorgung in den Kliniken an: Sie fahren auch in die Siedlungen und suchen gezielt Kranke, die Hilfe brauchen. Khaled Osman, der als Sozialarbeiter für Ärzte ohne Grenzen arbeitet, war kürzlich zu Besuch in Khoder Hawash. Dort drängen sich acht syrische Familien in einer der kleinsten und abgelegensten Siedlungen der Bekaa-Ebene zusammen.

„Hast du gesehen, wie viel es letzte Woche geschneit hat?“, fragt bei seiner Ankunft die achtjährige Asma. „Jetzt schmilzt der Schnee und wir versinken im Schlamm. Ich friere.“ Das Mädchen hat die Decke enger um sich und ihre Cousine Sara gezogen und rückt näher zum Ofen, der sie für kaum eine Stunde warm halten wird. „Das Schlimmste sind die Nächte“, erzählt Asma weiter. „Manchmal sind meine Füsse taub vor Kälte und ich habe Angst. Die Decken sind feucht und wir haben kein Holz, um Feuer zu machen.“

In den Zelten ist es eisig kalt

Sara und Asma werden später wegen anhaltendem hohen Fieber und heftigem Hustens in die Klinik von Ärzte ohne Grenzen in Baalbek gebracht. Doch auch wenn die Temperaturen wieder steigen, werden sie weiterhin für Krankheiten anfällig sein, die bei Flüchtlingen häufig vorkommen. Dazu kommt, dass es wegen der Öfen in den engen Wohnbereichen immer wieder zu Verbrennungen kommt.

„Ich frage mich, wie sie unter diesen elenden Umständen zurechtkommen“, sagt Khaled nach seiner Rückkehr. Zu seinen Aufgaben gehört es, die am gefährdetsten Familien regelmässig zu besuchen, ihre Bedürfnisse zu ermitteln und kranke Menschen in die Kliniken von Ärzte ohne Grenzen zu überweisen. „Die Menschen kochen Schnee ab für Trinkwasser, und sie halten sich mit Kartons und weggeworfenen Plastiksäcken warm. Die meisten haben einen Ofen, aber kein Brennholz oder guten Brennstoff. In den Zelten ist es eisig kalt, und sie haben nicht einmal genügend Decken für die ganze Familie. Diese Situation ist inakzeptabel, denn Kinder und ältere Menschen leiden am meisten und müssen immer häufiger in unseren Einrichtungen behandelt werden.“

Verteilungen von Hilfsgütern für den Winter

Im nördlichen Distrikt Akkar sind nur wenige Hilfsorganisationen tätig sind, denn die Angst vor einer Ausweisung zurück nach Syrien ist allgegenwärtig. Dort haben die Teams von Ärzte ohne Grenzen Ende Jänner dringend benötigte Hilfsgüter für den Winter an syrische Flüchtlinge abgegeben. Bei den Verteilungen wurden vor allem die Bergdörfer besucht, wo das Wetter noch eisiger ist. Ungefähr 900 Familien – insgesamt 4.700 Menschen – erhielten Öfen, Brennstoff und Decken.

Ärzte ohne Grenzen hilft im Libanon vorwiegend syrischen und palästinensischen Flüchtlingen sowie bedürftigen Libanesen und Libanesinnen, darunter auch den libanesischen Heimkehrern aus Syrien. Die Organisation bietet medizinische Grundversorgung an inklusive Behandlungen akuter und chronischer Krankheiten, Impfungen, Geburtshilfe und psychologischer Betreuung. Auch Verteilaktionen von Hilfsgütern werden organisiert. Die medizinischen Teams der Organisation haben bei den libanesischen, syrischen und palästinensischen Patienten und Patientinnen insgesamt über 260.000 allgemeinmedizinische Sprechstunden durchgeführt.