Syrien: „Selbst unsere eigenen Kollegen mussten mit ihren Familien fliehen.“

10.02.2016
Pharmazeut Ahmed berichtet von der Situation in Nordsyrien und unserem Hilfsprogramm zur Versorgung von Gesundheitseinrichtungen und Vertriebenen im Konfliktgebiet.
Ahmed, Pharmacy Manager
Ahmed is the manager of the MSF pharmacy in Kilis, Turkey. At present he is working on MSF´s donation programme, which provides donations of drugs and medical supplies to more than 15 hospitals and health centres inside Syria, and distributes essential household goods to internally displaced people caught up in the conflict.

Der syrische Pharmazeut Ahmed leitet unsere Apotheke in Kilis in der Türkei. Die Stadt liegt unweit der Grenze zur syrischen Region Asas. Auf der syrischen Seite haben sich in den vergangenen Tagen rund 30.000 neue Vertriebene aus den umkämpften Gebieten in Aleppo und Umgebung versammelt. Insgesamt halten sich dort mittlerweile rund 90.000 Vertriebene auf. Ahmed arbeitet für unser Hilfsprogramm zur Versorgung von mehr als 15 Krankenhäusern und Gesundheitseinrichtungen in Syrien, an die wir Medikamente und medizinisches Material spenden. Zudem verteilen wir dringend benötigte Haushaltswaren an Vertriebene in der Konfliktregion.

„Zehntausende Familien sind derzeit von ihren Dörfern an die Grenze unterwegs, und manche davon haben sich in der Nähe unseres Krankenhauses in Al Salamah niedergelassen. Diese Menschen haben keinen Platz zum Schlafen: Die erste Nacht müssen viele auf der Straße verbringen. Sie haben auch keinen Zugang zu Toiletten oder sauberem Trinkwasser. Sie bekommen einfach keinerlei Hilfe.

Auch unsere eigenen Mitarbeiter mussten mit ihren Familien ihre Dörfer verlassen und sich den Tausenden anschließen, die auf dem Weg an die türkische Grenze sind. Rund 50 unserer Kollegen flohen mit ihren Angehörigen und sind nun vorübergehend in Al Salamah untergekommen oder in Zelten entlang der Grenze. Am ersten Tag mussten wir die Aktivitäten im Krankenhaus aufgrund der großen Zahl an Menschen, die unsere Hilfe anfragten, reduzieren.

„Wir wollen nur in die Türkei“

Ich kann nicht einschätzen, wie viele Menschen zurzeit unterwegs sind. Am ersten Tag waren mindestens 500 Familien am Hauptübergang der Grenze – und das sind nur diejenigen, die ich selbst gesehen habe. Man hat mir erzählt, dass sich noch viele mehr an inoffiziellen Grenzübergängen befinden.

Gestern habe ich bei einigen der Vertriebenen nachgefragt, welche Art von Hilfe sie am dringendsten brauchen: „Wir sind nicht gekommen, um in einem Zelt zu schlafen“, sagten sie mir. „Wir wollen nur in die Türkei.“ Sie bekommen keine medizinische Versorgung und sie haben keine angemessenen Unterkünfte. Es gibt auch nicht genügend Zelte; und die, die noch da sind, konnten nicht schnell genug verteilt werden, um der Anzahl an Neuankömmlingen gerecht zu werden.

Grenztruppen haben eine Liste von medizinischen Fachkräften

Im Al Salamah-Krankenhaus von Ärzte ohne Grenzen arbeiten jetzt viele der Mitarbeiter, die normalerweise in der Apotheke beschäftigt sind, im Bereich Logistik. Denn jetzt müssen Medikamente und medizinisches Material von A nach B gebracht werden. Vor einer Woche konnten wir eine Reihe von Spenden für Aleppo-Stadt abliefern: Es wurde Nachschub für drei Monate an fünf Gesundheitszentren, fünf Erste-Hilfe-Stationen und zehn Krankenhäuser in Aleppo sowie fünf weitere im Landesinneren bereitgestellt. Zum Glück konnten wir diese Lieferungen abschließen, bevor die Straße gesperrt wurde.

Die türkische Regierung hat die Grenze für alle geschlossen – außer für Ärzte. Die Grenztruppen haben eine Liste von medizinischen Fachkräften, die passieren dürfen, was ein positives Zeichen ist. So können wir medizinische Hilfe zu denjenigen auf der syrischen Seite bringen, die sie brauchen.“