Südsudanesische Flüchtlinge in Äthiopien

16.06.2014
Mangel an Wasser, Sanitäranlagen und Unterkünften - rasche Reaktion nötig
In Itang betreibt Ärzte ohne Grenzen ein Krankenhaus in der Nähe des Flüchtlingslagers Kule.
MSF
Itang, Äthiopien, 11.05.2014: In Itang betreibt Ärzte ohne Grenzen ein Krankenhaus in der Nähe des Flüchtlingslagers Kule. Das Lager liegt in einem von Überschwemmungen bedrohten Gebiet - die dort unter ohnehin prekären Bedingungen lebenden Menschen sind so noch weiter gefährdet.

Ärzte ohne Grenzen bietet seit Jänner 2014 in Äthiopien medizinische Versorgung für südsudanesische Flüchtlinge an. Unsere Teams behandeln Menschen in den grenznahen Auffanglagern und im Flüchtlingslager Lietchuor, wo wir ein Krankenhaus mit 85 Betten und ein Gesundheitszentrum aufgebaut haben. In Itang, 10km vom Flüchtlingslager Kule entfernt, betreibt Ärzte ohne Grenzen ebenfalls ein Krankenhaus mit 75 Betten.

Unser Einsatzleiter in Äthiopien, Antoine Foucher, berichtet von der angespannten Situation vor Ort – denn die mangelnde Versorgung mit Wasser, Sanitäranlagen und Unterkünften hat dramatische Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen.

 

Kommen derzeit noch Flüchtlinge aus dem Südsudan nach Äthiopien?

 

Seit im Dezember 2013 der gewaltsame Konflikt im Südsudan ausgebrochen ist, kommen pro Tag rund 1.000 Menschen in der äthiopischen Region Gambella an. Doch das ist nur ein Durchschnittswert – an manchen Tagen haben wir es mit einem massiven Zustrom von 10.000 bis 15.000 Menschen täglich zu tun, z. B. nachdem in Nasir im Bundesstaat Jonglei Kämpfe ausgebrochen waren. Heute sind mehr als 130.000 südsudanesische Flüchtlinge in Äthiopien. Laut einer Schätzung der UN-Flüchtlingskommission könnte diese Zahl bis Ende des Jahres auf 350.000 steigen.

 

Welche Hilfe erhalten die Flüchtlinge?

 

 

Der Großteil der Flüchtlinge sind Frauen und Kinder, die bei ihrer Ankunft extrem geschwächt sind, nachdem sie Tage oder Wochen zu Fuß oder auf Booten unterwegs waren. Es gibt mehrere Grenzübergänge nach Äthiopien – in Giergol, Pagak oder Burubiey. Die Teams von Ärzte ohne Grenzen bieten in diesen Übergangslagern medizinische Versorgung an und behandeln die Kinder, von denen leider manche nach ihrer Ankunft innerhalb weniger Tage sterben.

 

Die Kapazitäten des Übergangslagers in Burubiey sind heute schon erschöpft: Rund 13.000 Menschen leben hier unter extrem prekären Bedingungen, während sie auf ihre Überstellung in das Lager Kule warten. Doch der Wechsel in eines der zwei größten Flüchtlingslager in dieser Gegend, die je rund 45.000 Menschen unterbringen können, garantiert keine besseren Lebensbedingungen. Trotz vieler Bemühungen befinden sich diese Lager oft an Stellen, die von Überflutungen bedroht sind , und es gibt weder genügend Unterkünfte noch ausreichend Trinkwasser oder Latrinen – in Burubiey sind täglich nur 7 Liter Wasser pro Person verfügbar; in Lietchuor teilen sich 60 Menschen eine Latrine und im Lager Kule 1 sogar 288 Menschen. Diese Umstände haben großen Einfluss auf die Morbiditäts- und Mortalitätsraten in den Lagern, also die Häufigkeit von Krankheiten und die Sterblichkeitsrate.

 

Kann man von einem Notfall sprechen?

 

 

Definitiv. Die Flüchtlinge befinden sich in einer Lage, die sie physisch extrem angreifbar macht. Wir haben bereits im April bei ihrer Ankunft in Burubiey das Ausmaß an Mangelernährung festgestellt: Fast eines von vier Kindern litt unter Mangelernährung, und die Rate an schwerer akuter Mangelernährung lag über 7 Prozent. Nach mehren Wochen in den Lagern wird es bei diesen unzumutbaren Lebensbedingungen nicht besser. Auch wenn die Rate an Mangelernährung aktuell etwas zurückgegangen ist, liegt sie doch über dem Notfall-Grenzwert. Durchfall und Lungenentzündungen sind die häufigsten Krankheiten in Zusammenhang mit Mangelernährung, von denen wir zahlreiche Fälle im Krankenhaus und im Gesundheitszentrum im Lager Lietchuor sowie im Krankenhaus in Itang behandeln. Diese Krankheiten stehen in einem eindeutigen Zusammenhang mit den schlechten Lebensbedingungen. Folglich liegen auch die Sterblichkeitsraten über dem Grenzwert: Im Mai lag die Mortalitätsrate in unseren beiden Gesundheitszentren in Lietchuor und Itang, wo mangelernährte Kinder stationär aufgenommen und behandelt werden, zwischen 7 und 18 Prozent. Natürlich haben wir keinen Überblick der Sterblichkeitsrate sämtlicher hier lebender Flüchtlinge, aber die uns vorliegenden Daten sind alarmierend. Mit dem Einsetzen der Regenzeit werden sich die Hygiene-Bedingungen weiter verschlechtern und neue Krankheiten wie z. B. Malaria aufkommen.

 

Wie wurde bisher auf diesen Notfall reagiert?

 

 

Dieser Notfall fordert eine außergewöhnliche Mobilisierung: Gambella muss in dieser kritischen Situation entsprechende Aufmerksamkeit und Unterstützung von den nationalen Behörden, den Vereinten Nationen und internationalen NGOs erhalten. Administrative, finanzielle und politische Ressourcen müssen zur Verfügung gestellt werden, damit humanitäre Hilfe rasch und umfassend bereitgestellt werden kann. Wenn wir keine gesundheitliche Katastrophe riskieren wollen, können wir den aktuellen Aufwand nicht akzeptieren, der zwar tagtäglich aufgestockt wird, aber noch immer bei Weitem nicht ausreicht, um die aktuelle Situation angesichts der potentiellen Verbreitung von Krankheiten in den Griff zu bekommen.

 

Derzeit herrscht ein Cholera-Ausbruch im südsudanesischen Bundesstaat Jonglei, der an die Region Gambella angrenzt. Wie wird Ärzte ohne Grenzen reagieren?

 

 

Ärzte ohne Grenzen hat eine vorbeugende Strategie vorgeschlagen, die sowohl eine Cholera-Impfkampagne beinhaltet als auch eine fünfwertige Pneumokokken-Impfung. Wir müssen rasch handeln, um die Cholera-Impfungen durchzuführen, die 60 bis 80 Prozent der potentiell Betroffenen schützen kann. Die Cholera-Impfung ist ein oraler Impfstoff, der in zwei Dosen sowohl Erwachsenen als auch Kindern verabreicht werden kann.

 

Diese präventive Strategie besteht auch darin, umfassende Vorräte an Material bereitzustellen, um Malaria und Cholera behandeln zu können, sobald eine Epidemie ausbricht. Das kann viele Leben retten, ist aber kein Ersatz für die ausreichende Bereitstellung von Wasser, Sanitäranlagen und Unterkünften.