Südsudan: „Ich war fünf Stunden unterwegs“

21.01.2011
Prekäre Lage der Mutter-Kind-Gesundheit im Südsudan

Themengebiet:

Sudan 2011
Baikong Mamid
Gogrial, Sudan, 14.01.2011: Prinitha Pillay von Ärzte ohne Grenzen freut sich über Awiens Fortschritte.

Hunderte fette Kühe mit wunderschönen harfenförmigen Hörnern grasen auf jeder Seite der ungepflasterten und staubigen Straße in Gogrial West County. Jede dieser Kühe ist jemandes wertvoller Besitz und wird gehegt und gepflegt. Vernachlässigt wird in dieser kargen, ausgetrockneten Region jedoch die Gesundheit von Müttern und Kindern.

Die 29-jährige Aluel Atem Kat ist Mutter von fünf Kindern. Sie sitzt unter einem Mangobaum außerhalb des von Ärzte ohne Grenzen betriebenen Krankenhauses, das sich im Herzen der Stadt Gogrial befindet. In ihren Armen hält sie ihr einjähriges Baby, Awien Ayam Gum, die schwer unterernährt ist.

Patientinnen wie Aluel und Awien kommen jeden Tag im Schatten der Bäume zusammen. Sie verbringen hier die langen, heißen Nachmittage der Trockenzeit im Südsudan. Diese Bäume sind stille Zeugen der besorgniserregenden Gesundheitssituation vieler Menschen hier im Land. Hunderte Menschen, viele aus weit weg gelegenen Dörfern, strömen jeden Tag in das Spital. Sie kommen wegen üblicher und behandelbarer Erkrankungen wie Durchfall, Malaria, schwerer Unterernährung, aber auch mit infektiösen Krankheiten wie Buruli Ulkus. Verursacht wird diese Krankheit vom Bakterium Mycobacterium ulcerans und sie bringt schwere Schäden an der Haut der Betroffenen.

Awiens Unterernährung wurde nicht durch eine Hungersnot oder zu wenig Zugang zu Nahrung verursacht. Sie ist Folge des schlechten Gesundheitszustandes ihrer Mutter während der Schwangerschaft. „Ich erinnere mich, dass ich sehr krank war, als ich mit Awien schwanger war“, erzählt Aluel.  „Über eine Woche lang hatte ich Fieber, dann erholte ich mich, aber das Fieber kehrte zurück. Ich hatte keine Behandlung, weil es in meinem Dorf keine Möglichkeit dazu gibt.“

Informelle Strukturen

Traditionelle Heiler, die in ihren Gemeinschaften oft als „Hexendoktoren“ bekannt sind, werden als erstes gerufen, wenn ein Krankheitsfall auftritt. Ein Ergebnis der schlechten Gesundheitsversorgung. Deswegen sehen die Menschen die Behandlung in einem Spital gewöhnlich als die allerletzte Option – wenn sie überhaupt als Option in Frage kommt.

„Ich brachte Awien zu einem traditionellen Heiler, weil ich dachte er würde ihr helfen können. Ich erhielt den Rat, meiner Großmutter eine kleine Ziege zu geben und den Göttern einige Hühner und eine Ziege anzubieten. Ich befolgte diesen Rat, aber es passierte gar nichts. Awien war noch immer sehr krank und verlor weiter an Gewicht“, erzählt Aluel.

Der Südsudan ist ein großes Land. Die meisten medizinischen Einrichtungen wurden im mehr als zwei Jahrzehnte andauernden Bürgerkrieg zerstört. Heute ist es so, dass der schlimme Mangel an Gesundheitskliniken - die meist nur sehr schwer erreichbar sind, weil sie oft Tagesreisen entfernt sind - und die enormen Kosten für medizinische Behandlungen große Hürden für die Menschen darstellen, die medizinische Hilfe dringend brauchen. Im Südsudan haben bis zu drei Viertel aller Menschen nicht einmal Zugang zu Basisgesundheitsversorgung.

„Als ich Awien in das Krankenhaus brachte, erbrach sie sich nur mehr. Sie war seit ihrer Geburt immer krank. Nach einem Jahr ging es ihr noch immer nicht besser und sie hörte sogar zu wachsen auf“, sagt Aluel und ihre Stimme ist voll Traurigkeit.

Keine pränatale Versorgung

Vor ihrer Behandlung, wog die kleine Awien nur 3,3 Kilogramm und war so winzig klein wie ein zwei Monate altes Baby. Dieser besorgniserregende Gesundheitszustand, in dem sich auch viele andere Kinder wie Awien befinden, ist eine Folge der schlechten beziehungsweise oft gar nicht existierenden pränatalen gesundheitlichen Versorgung.

Awien wird von Prinitha Pillay, Ärztin aus dem Team von Ärzte ohne Grenzen untersucht: „Als wir uns Aluels Krankengeschichte ansahen, fanden wir heraus, dass sie während ihrer Schwangerschaft an chronischem Fieber gelitten hatte. Möglichweise war es Malaria. Wenn Babys mit Untergewicht geboren werden, ist das oft eine Folge von Komplikationen im Zuge einer Malaria-Erkrankung.“

„Da ihre Mutter nicht behandelt worden war, war Awein ganz klein als sie geboren wurde und ist immer noch sehr krank. In diesem Alter sollte sie schon stehen und auch versuchen, zu laufen. Aber sie erreichte nie ein Gewicht, das ihrem Alter entspricht und sie bleibt ein sehr zartes kleines Kind“, erklärt Prinitha Pillay.

Das Krankenhaus von Ärzte ohne Grenzen in Gogrial, das 2009 als Ambulanz begonnen hatte, bietet heute eine umfangreiche Gesundheitsversorgung für Patienten und Patientinnen aus dem ganzen Bundesstaat Warab. Manchmal sogar für viele Menschen aus anderen Bundesstaaten im Südsudan. Viele der Patienten und Patientinnen erreichen erst in der Morgendämmerung das Spital, sie sind die ganze Nacht durchgegangen. Andere wiederum sind sogar zwei Tage unterwegs um die Klinik zu erreichen.

„Ich war fünf Stunden unterwegs“

„Eines Tages empfahl mir ein Nachbar in meinem Heimatdorf Kuajok, meine Tochter nach Gogrial zu bringen. Er sagte mir, dass es da ein kostenloses und gutes Spital gäbe, in dem es meiner Tochter bald besser gehen würde. Am nächsten Tag ging ich fünf Stunden in der Hoffnung, dass Awien gesund werden würde“, erzählt Aluel.

Prinitha Pillay, die die kleine Awien sehr ins Herz geschlossen hat, freut sich über die Fortschritte, die ihre kleine Patientin macht: „Awien ist jetzt seit sechs Tagen in unserem Ernährungsprogramm und es geht ihr verhältnismäßig gut. Sie hat 600 Gramm zugenommen, isst gut und leidet nicht an Komplikationen. Ihre körperliche Entwicklung ist jedoch verzögert: sie kann jetzt zwar sitzen, aber sie kann weder stehen noch laufen. Wir freuen uns über ihren Fortschritt. Vorbeugende Maßnahmen wie die pränatale Vorsorge sind sowohl für die Neugeborenen als auch ihre Mütter von großer Wichtigkeit“, erklärt Pillay.

Im Krankenhaus ist der Flur serpentinenartig angelegt. So kann sichergestellt werden, dass die Patienten und Patientinnen, die sich bei der Ambulanz anstellen alle nötigen medizinischen Untersuchungen machen.

Schwangere Frauen erhalten eine Reihe wichtiger Impfungen und vorbeugende Behandlungen. So wird das Risiko gesenkt, dass Mütter und ihre Babys so wie Aluel und Awien an gesundheitlichen Komplikationen leiden. Allein im Jahr 2010 haben die Teams von Ärzte ohne Grenzen 46.000 Untersuchungen durchgeführt, 7.000 Patientinnen pränatal versorgt und 1.200 Kinder in das Ernährungsprogramm aufgenommen.

Von Baikong Mamid, Kommunikationsreferentin bei Ärzte ohne Grenzen.

Baikong Mamid war kurz vor Beginn des Referendums im Südsudan. Ärzte ohne Grenzen ist seit 1979 im Südsudan aktiv und betreibt Kliniken und Krankenhäuser in zehn Bundesstaaten.