Sri Lanka: Die Kämpfe sind zu Ende – das Leiden geht weiter

10.08.2009
Gesundheitseinrichtungen und Vertriebenenlager überlastet
Temporäres Krankenhaus von Ärzte ohne Grenzen in der Nähe von Manic Farm
Anne Yzebe/MSF
Sri Lanka, 29.05.2009: Temporäres Krankenhaus von Ärzte ohne Grenzen in der Nähe von Manic Farm

Jedes Gesundheitssystem hätte Schwierigkeiten, die Bedürfnisse von mehr als 260.000 Vertriebenen zu erfüllen. Auch die srilankischen Vertriebenenlager sind überlastet. Die Menschen müssen oft mehrere Tage warten, bevor sie von einem Arzt behandelt werden und nachts entscheidet nicht-medizinisches Personal, wer von den Patienten in ein Krankenhaus überweisen wird und wer nicht. Das Leiden geht weiter.

Ati* lebt mit ihrem Ehemann und ihren drei Kindern seit drei Monaten in dem Lager Menik Farm. Ihr fünf Jahre alter Sohn hatte vor zwei Wochen Fieber bekommen und kaum noch reagiert. Sie hat ihn zu der Klinik im Lager getragen und eine Stunde gewartet, um einen Arzt zu sehen. Wie viele andere an dem Tag, musste sie mit ihrem kranken Kind nach Hause gehen, ohne einen Arzt gesehen zu haben. Am nächsten Tag hat sie 13 Stunden in der Klinik gewartet, aber wieder keinen Arzt getroffen. Am dritten Tag hat sie es endlich geschafft, einen Arzt zu sehen, der ihr Antibiotika gegeben hat.

300 Patienten am Tag

Auch wenn die Leistungen in den Lagern allmählich zunehmen, das Gesundheitsministerium in allen Lagern Kliniken hat und die Mitarbeiter so gut und viel arbeiten wie sie können, bleiben die Bedürfnisse enorm und die Einrichtungen überlastet. Einige Ärzte behandeln 200 bis 300 Patienten am Tag. Es bleibt keine Zeit, Tests durchzuführen oder sich längerfristig um Patienten zu kümmern. Es werden auch nur die dringendsten Fälle in die Krankenhäuser außerhalb der Lager überwiesen. Maruthani*, eine 24 Jahre alte Frau, ist Ende Mai in dem Lager Menik Farm angekommen. Sie ist furchtbar entstellt, nachdem sie während des Konflikts von einem Bombensplitter getroffen wurde, der ihre Lippen, ihre Wangen und ihr Kinn geschnitten hat. Ihr Mund ist immer offen, ihre Zunge ist schwer getroffen und sie kann kaum trinken und gar nicht mehr sprechen. Sie benötigt eine plastische Operation, die in dem Lager aber nicht gemacht werden kann. Als sich ihre Wunden entzündet haben, ist sie unter Schmerzen in die Klinik im Lager gegangen. Dort konnte ihr aber nicht geholfen werden. Da sie nicht als Notfall eingestuft wurde, haben die Mitarbeiter sie aber auch nicht in ein Krankenhaus außerhalb des Lagers überwiesen. Sie liegt im Sand vor ihrem Zelt und wartet, dass die Tage vorbeiziehen.

Die Mitarbeiter des Gesundheitsministeriums überweisen einige Patienten in das Krankenhaus von Ärzte ohne Grenzen außerhalb des Lagers Menik Farm. Das Problem sind die Nächte. „In vielen Lagern sind die Patienten auf die Entscheidung der Soldaten angewiesen, ob sie in ein Krankenhaus außerhalb des Lagers gehen dürfen oder nicht“, sagt Karline Kleijer, Nothilfekoordinator von Ärzte ohne Grenzen. „Das funktioniert bei denen, die offensichtlich krank sind, oder blutende Wunden haben. Handelt es sich aber um ein dehydrierendes Kind mit Fieber, erkennen die Soldaten nur selten, dass das Kind dringend Hilfe benötigt.“

Frühstück in der Nacht

Der Mangel an sauberem Wasser und Nahrung in den Lagern ist ebenfalls besorgniserregend. Die Menschen kochen in den meisten Lagern nicht selber, sondern sind auf Gemeinschaftsküchen und Nahrungsmittelrationen von der Regierung und Hilfsorganisationen angewiesen. „In den neueren Lagern wird das Essen oft nicht vor dem späten Abend angeliefert, so dass es die erste Mahlzeit um zehn Uhr nachts gibt.“, sagt ein Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen. Ärzte ohne Grenzen verteilt jeden Tag in elf Lagern an 23.000 Kinder unter fünf Jahren, schwangere und stillende Frauen und Menschen über 60 Jahre energiereichen Brei.

Hunderte Menschen, die während des Konflikts verletzt wurden, sind außerhalb der Lager noch immer in stationärer Behandlung. Ärzte ohne Grenzen behandelt in Zusammenarbeit mit Mitarbeitern des Gesundheitsministeriums im Krankenhaus in Pompaimadhu derzeit 180 Patienten mit Rückenmarksverletzungen, infizierten Wunden und Frakturen, die nicht heilen. Der Chirurg von Ärzte ohne Grenzen führt durchschnittlich 16 bis 20 Operationen in der Woche durch. Außerdem wird Physiotherapie angeboten.

Traumatisiert

Viele Patienten sind aufgrund dessen, was sie während des Konflikts erlebt haben, traumatisiert. Sie haben mit der Trauer zu kämpfen und machen sich über ihre Zukunft und das Schicksal ihrer Lieben Sorgen. „Eine junge Frau, die in das Krankenhaus in Pompamaidhu eingeliefert wurde, hatte ihren Ehemann, ihre Eltern, ihre Schwester, ihren Schwager und deren Kinder verloren“, erzählt ein Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen. „Sie ist die einzige Überlebende der ganzen Familie und sie ist schwanger. Sie fühlt sich sehr einsam und ist noch immer unter Schock. Es ist erst zweieinhalb Monate her, seit sie alles und jeden verloren hat. Sie macht sich große Sorgen, wie sie als alleinstehende Mutter durchkommen soll. Solange sie in Pompaimadhu ist, bekommt sie Unterstützung. Wenn sie aber wieder in das Lager entlassen wird, wird sie keine Hilfe mehr bekommen.“

Die Menschen versuchen mit den Erlebnissen umzugehen. Es ist schwierig auch nur den Anschein eines normalen Lebens zu erwecken. Im Lager gibt es nur sehr wenig Arbeit, die Menschen dürfen die Lager aber auch nicht verlassen. Außerdem machen sich die Eltern Sorgen um die Kinder, da sie so lange nicht zur Schule gehen. Die Menschen haben Schwierigkeiten, ihre Familien wiederzufinden und für die Zukunft zu planen. Es gibt kaum etwas zu tun, außer von einer Verteilung zur nächsten zu gehen. Nicht zu wissen, wie lange sie in den Lagern bleiben müssen, erschwert das Leben zusätzlich. Es besteht daher bei den Menschen, die in den Lagern leben, ein großes Bedürfnis nach psychologischer Hilfe. Etwas, was derzeit in den Lager nicht angeboten wird.

Startbereit

Ärzte ohne Grenzen hat die Kapazitäten, die Aktivitäten auszuweiten und die Mitarbeiter des Gesundheitsministeriums, die in den Lagern arbeiten zu unterstützen. „Wir haben in unserem Büro zwei Pinnwände. Eine für die Aktivitäten der nächsten Wochen: Ernährungsprogramme, Chirurgie, usw. Und ein zweites mit Aktivitäten, die auf Genehmigung warten einschließlich psychologische Hilfe, Basisgesundheitsversorgung und Physiotherapie in den Lagern. Wir sind startbereit.“

Ärzte ohne Grenzen setzt die Verhandlungen mit den Behörden in Colombo fort.

* Name geändert

Weitere Inhalte zum Thema