Somalia: Mehrheit der Bevölkerung im Norden Mogadischus flieht vor eskalierenden Kämpfen

07.07.2009
Ärzte ohne Grenzen appelliert an alle Konfliktparteien, die Sicherheit von Zivilisten zu respektieren

Nairobi/Wien 7. Juli 2009. Die Wiederaufnahme von Kämpfen in der somalischen Hauptstadt Mogadischu hat die Mehrheit der Bevölkerung in den nördlichen Bezirken Yaqshid, Karan und Abdul Azziz zur Flucht gezwungen. Kontinuierlicher Beschuss, Explosionen und Kämpfe zwischen verschiedenen bewaffneten Gruppen haben Dutzende Zivilisten das Leben gekostet und die Stadt ins Chaos gestürzt. Dies hat zur Folge, dass Ärzte ohne Grenzen die medizinischen Einrichtungen in der Nähe schließen musste.

In der vergangenen Woche hat Ärzte ohne Grenzen ein Kinderkrankenhaus und drei Gesundheitszentren im Norden Mogadischus geschlossen. Wie die Bevölkerung mussten auch Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen fliehen, um ihr und das Leben ihrer Familien zu retten. Es ist das erste Mal in 17 Jahren, in denen Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen im Norden Mogadischus arbeiten, dass sie auf diese Weise ihre Leben retten mussten. Die Teams von Ärzte ohne Grenzen haben wöchentlich rund 2.500 ambulante Behandlungen durchgeführt und 400 mangelernährte Kinder betreut. Im Krankenhaus in Daynile, das am Westrand der Stadt liegt, haben medizinische Helfer der Organisation seit Anfang Mai 869 Verletzte behandelt und 49 Operationen durchgeführt. Unter denjenigen, die Notfallbehandlungen erhielten, waren 162 Kinder unter 14 Jahren und 156 Frauen. Zwölf Patienten sind ihren Verletzungen erlegen.

Humanitäre Hilfe unmöglich

„In den vergangenen zwei Monaten sind schätzungsweise 200.000 Menschen nach Afgooye und Jowhar geflohen“ erklärt Monica Camacho von Ärzte ohne Grenzen, die die Projekte in Somalia von Nairobi aus koordiniert. „Die Bevölkerung wird terrorisiert und in den vergangenen zwei Wochen hat sich die Zahl der Toten und Verletzten drastisch erhöht.  Es wurde unmöglich, medizinische und humanitäre Hilfe für diejenigen zu leisten, die sie benötigen“, so Camacho weiter.An der Straße nach Afgooye im Westen von Mogadischu leben eine halbe Million Menschen in provisorischen Unterkünften aus Stöcken und Plastikplanen. Es gibt nur einen sehr begrenzten Zugang zur Gesundheitsversorgung. Es herrscht eine verheerende Knappheit an Nahrungsmitteln und an Wasser, und die Unterkünfte der Vertriebenen sind überlaufen. Dadurch besteht ein hohes Risiko für den Ausbruch von Epidemien wie Cholera und Masern.

Appell an alle Akteure

Ärzte ohne Grenzen fordert alle Akteure auf, die in dem Konflikt involviert sind, die medizinischen Einrichtungen und die somalischen Mitarbeiter der Organisation zu respektieren. Die medizinischen Mitarbeiter leisten unter unvorstellbaren Bedingungen lebenswichtige medizinische und humanitäre Hilfe.„Einige der medizinischen Einrichtungen in Mogadischu wurden von bewaffneten Männern übernommen“, sagte Alfonso Verdu, Programmleiter für Somalia von Ärzte ohne Grenzen in Barcelona. „Alle Patienten, die in den letzten zwei Wochen in den Einrichtungen von Ärzte ohne Grenzen behandelt wurden, mussten fliehen oder wurden evakuiert. Viele von ihnen mussten ihre Behandlung unterbrechen, was sehr besorgniserregend ist. Es sind so gut wie keine Menschen mehr auf den Strassen im Norden Mogadischus.“Ärzte ohne Grenzen hat in den vergangenen drei Monaten zahlreiche Sicherheitsvorfälle erlebt: Zwei internationale Mitarbeiter wurden im April in Huddur in der Region Bakool entführt und für eine Woche festgehalten. Ein nationaler Mitarbeiter kam am 18. Juni durch eine Explosion ums Leben, die weitere 30 Menschen getötet hat. Ende Juni wurde ein privates Auto, das von Ärzte ohne Grenzen gemietet wurde, im gebiet Nord Galcayo angegriffen. Die Mutter des Patienten wurde dabei erschossen. Diese Vorfälle und die sich seit zwei Jahren generell verschlechternde Sicherheitslage schränkt die Arbeit der Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen stark ein.„Trotz allem, was passiert ist, wollen wir unsere Aktivitäten im Land fortführen. Die Bedürfnisse sind groß und die Bevölkerung leidet am meisten unter dem Konflikt“, erklärt Benoit Leduc, Landeskoordinator von Ärzte ohne Grenzen für Somalia. „In unserem Krankenhaus in Daynile sind die meisten unserer Patienten Frauen und Kinder. Wir appellieren an alle, die an dem Konflikt beteiligt sind, die Sicherheit der Bevölkerung zu respektieren und den humanitären Handlungsspielraum zu gewährleisten, um die Verwundeten angemessen behandeln zu können.“ Ärzte ohne Grenzen leistet seit 17 Jahren in neun Regionen in Somalia medizinische Hilfe. Die Mitarbeiter haben im Jahr 2008 mehr als 720.000 ambulante Behandlungen durchgeführt, darunter waren nahezu 270.000 Kinder unter fünf Jahren. Mehr als 55.000 Frauen erhielten eine Schwangerschaftsnachsorge, und 24.000 Patienten wurden stationär behandelt. Es wurden mehr als 3.800 chirurgische Eingriffe vorgenommen, von denen etwa 1.200 durch Gewalt bedingt waren. Es wurden mehr als 1.000 Kala Azar-Patienten und 4.000 Malaria-Patienten behandelt. Etwa 1.500 Patienten haben mit einer Tuberkulosebehandlung begonnen. Ärzte ohne Grenzen hat nahezu 35.000 mangelernährte Menschen versorgt und mehr als 82.000 Impfungen durchgeführt.

Weitere Informationen und Vermittlung von Interviews: 01 409 72 76/29 bzw. 59; Eva Hosp bzw. Tina Wolf