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Richtig oder falsch? 7 Mythen über HIV/AIDS, die noch immer für wahr gehalten werden.
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Ärzte ohne Grenzen veröffentlicht heute den Bericht "Out of Focus": Denn beim weltweiten Kampf gegen HIV und AIDS dürfen zahlreiche Länder in West- und Zentralafrika nicht länger vernachlässigt werden. Mehr als ein Viertel der Menschen, die 2014 weltweit an den Folgen von HIV und Aids starben, stammte aus diesen Ländern. Und fast die Hälfte aller Kinder, die weltweit mit HIV geboren werden, kommen in West- und Zentralafrika auf die Welt.
Trotz dieser erschreckenden Realität gibt es weiterhin zahlreiche Mythen und Gerüchte über HIV/AIDS. Finden Sie hier heraus, welche davon wahr oder falsch sind:
1. HIV ist ein Todesurteil.
FALSCH.
HIV/AIDS ist die tödlichste Pandemie der jüngsten Geschichte: Sie forderte bisher doppelt so viele Todesopfer wie der Zweite Weltkrieg. Doch der Fortschritt, der in nur 30 Jahren im Kampf gegen die Krankheit gemacht wurde, ist spektakulär. Heutzutage ist jemand mit HIV, der täglich antiretrovirale Medikamente zu sich nimmt, nur einem sehr geringen Risiko ausgesetzt, AIDS zu entwickeln – und kann somit ein langes und erfülltes Leben führen.
… jedoch leider RICHTIG für alle, die keinen Zugang zu Medikamenten haben.
Denn wer Pech hat, lebt an einem Ort, wo es nur kaum Zugang zu lebensrettenden, antiretroviralen Medikamenten gibt. Mehr als 75% aller Menschen mit HIV, die in West- und Zentralafrika leben erhalten keine antiretrovirale Behandlung. All diese 5 Millionen Menschen sind deshalb dazu verdammt, einen langsamen, schmerzhaften und unnötigen Tod zu erleiden. Noch schlimmer ist die Situation für die rund 730.000 HIV-positiven Kinder in der Region: 90% von ihnen haben keinen Zugang zu diesen Medikamenten. Deshalb sind dringend Schritte nötig, um diese Lage zu ändern.
2. HIV betrifft hauptsächlich homosexuelle Männer.
FALSCH.
Diese Aussage mag für westliche Länder stimmen, jedoch nicht für die ganze Welt. In Wahrheit ist das globale „Gesicht“ von HIV eine junge Frau: 59% aller Menschen, die in der Sub-Sahara-Region Afrikas mit HIV leben, sind Frauen. In Südafrika sind Mädchen im Alter von 15 bis 19 Jahren sogar einem achtfach höheren Risiko ausgesetzt, sich mit HIV zu infizieren, als ihre männlichen Altersgenossen.
RICHTIG ist…
…, dass Männer, die Sex mit Männern haben, von der Pandemie überdurchschnittlich stark betroffen sind. Dasselbe gilt auch für Sexarbeiter:innen und Drogenabhängige, die sich Stoffe injizieren. Das ist auch der Grund, weshalb sich der Plan der Vereinten Nationen (UN) im Kampf gegen HIV/AIDS verstärkt auf diese Hochrisiko-Gruppen konzentriert.
Doch trotz allem werden 45% aller Kinder, die mit dem Virus auf die Welt kommen, in West- und Zentralafrika geboren. Warum? Weil ihre Mütter keinen Zugang zu einer Behandlung hatten.
3. Man kann kein gesundes Baby zur Welt bringen, wenn man selbst HIV-positiv ist.
FALSCH.
Eine HIV-positive Schwangere mit einer optimalen Behandlung durch antiretrovirale Medikamente ist einem Risiko von weniger als 2% ausgesetzt, das Virus auf ihr Kind zu übertragen. Das sind fantastische Nachrichten: Dank der antiretroviralen Medikamente wurde seit dem Jahr 2000 die Anzahl der Kinder, die weltweit mit dem Virus auf die Welt kommen, um 60% reduziert. Vergangenes Jahr erklärte sogar Kuba als weltweit erstes Land, dass die Mutter-Kind-Übertragung von HIV vollständig eliminiert werden konnte.
Doch auch dieser Sieg steht in direktem Zusammenhang mit der Verfügbarkeit von antiretroviralen Medikamenten. In West- und Zentralafrika befinden sich nur 39% der HIV-positiven Schwangeren in einer Behandlung. Deshalb ist die Zahl der Kinder, die mit dem Virus zur Welt kommen, in dieser Region so überdurchschnittlich groß: Während in West- und Zentralafrika 17,9% aller Betroffenen leben, die weltweit mit HIV infiziert sind, kommen in der Region beinahe die Hälfte aller Kinder zur Welt, die bereits HIV-positiv geboren werden.
All diese Babies kommen mit einer Krankheit zur Welt, die verhindert werden hätte können. Und es ist darüber hinaus besonders dramatisch, weil 90% der HIV-positiven Kindern in dieser Region auch keinen Zugang zu einer pädiatrischen HIV-Behandlung haben. Ohne Behandlung wird ein Drittel der Kinder, die von HIV betroffen sind, nicht ihren ersten Geburtstag erleben; die Hälfte wird nicht ihren zweiten Geburtstag feiern und nur eines von fünf Kindern wird seinen fünften Geburtstag feiern.
4. Kondome zu verwenden ist die einzige Möglichkeit, um zu vermeiden, Sexualpartner:innen anzustecken oder selbst mit HIV infiziert zu werden.
FALSCH.
Natürlich ist die Verwendung von Kondomen ein sehr effektiver Weg, um eine HIV-Infektion zu vermeiden. Aber es ist nicht die einzige Möglichkeit.
Studien zeigen, das seine bestmögliche Behandlung mit antiretroviralen Medikamenten das Risiko einer Übertragung des Virus bei Paaren, von denen eine Person HIV-positiv ist, um 96% verringert. Neue Medikamente ermöglichen sogar HIV-negativen Menschen, sich vor einer Ansteckung zu schützen.
Die Verwendung von Kondomen zu fördern ist ein wichtiges Werkzeug im Kampf gegen HIV. Doch die Menschen müssen aus einer Kombination an vorbeugenden Werkzeugen wählen können, die am besten zu ihrer jeweiligen Situation passen. Allen Betroffenen eine Behandlung mit antiretroviralen Medikamenten anzubieten ist der Schlüssel, um die HIV/AIDS-Pandemie unter Kontrolle zu bringen. Deshalb ist es ein riesiges Problem, dass so wenige Menschen – weniger als einer von vier HIV-Betroffenen – in West- und Zentralafrika Zugang zu einer Behandlung haben. Wenn nicht überall alle, die eine Behandlung brauchen, sie auch bekommen können, stehen die Chancen für eine Eindämmung der globalen Pandemie sehr schlecht. Deshalb fordert Ärzte ohne Grenzen einen raschen, ambitionierten Aufholplan für Länder, in denen nur wenige Menschen Zugang zu einer antiretroviralen Behandlung haben.
5. Je mehr HIV-Betroffene in einem Land, desto mehr AIDS-Tote.
FALSCH.
In Südafrika leben bei Weitem die meisten HIV-Betroffenen (6,8 Millionen Menschen), und AIDS fordert noch immer einen erschütternden Tribut mit rund 140.000 Toten pro Jahr. Doch trotz dieser schmerzlichen Verluste liegt die Zahl unter der Sterblichkeitsrate von Nigeria, wo halb so viele HIV-positive Menschen leben. Warum? Die Antwort ist wieder ganz einfach: Die nigerianische Bevölkerung hat einen viel eingeschränkteren Zugang zu einer antiretroviralen Behandlung (nur 22%) als die Menschen in Südafrika (45%)!
Ganz ähnlich sieht es in Guinea aus: Dort kam es 2014 zu ungefähr gleich vielen AIDS-Toten (3.800) wie in Swasiland (3.500) – doch in Swasiland leben doppelt so viele Menschen mit HIV (210.000) wie in Guinea (120.000)! Das Land hat damit die weltweit höchste Verbreitungsrate von HIV unter Erwachsenen: 27,7% der Bevölkerung leben mit dem Virus.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass überall dort, wo antiretrovirale Medikamente nicht breit zugänglich sind, die Menschen überdurchschnittlich häufiger unter HIV/AIDS leiden und daran sterben.
6. Je weniger HIV-Betroffene in einem Land, desto leichter ist es, gegen die Krankheit vorzugehen.
FALSCH.
Logisch betrachtet könnte man davon ausgehen, dass es die Demokratischen Republik Kongo – wo “nur” 1,2% der Bevölkerung mit HIV leben – leichter hat, eine antiretrovirale Behandlung zur Verfügung stellen, als Malawi. Schließlich sind beide Länder auf den Papier relativ gut vergleichbar, zum Beispiel in Bezug auf das Pro-Kopf-Einkommen (laut Weltbank Platz 182 bzw. 182) oder den Entwicklungsindex (auf Platz 174 und 186). Aber trotzdem hat es Malawi geschafft, 50% der HIV-Betroffenen innerhalb der Bevölkerung mit antiretroviralen Medikamenten zu behandeln. In der Demokratischen Republik Kongo hingegen sind es weniger als 25%.
Das ergibt keinen Sinn? Nun, es gibt ein paar Erklärungen: Wenn, so wie in der DR Kongo, HIV auf der gesellschaftlichen, medialen und politischen Agenda nicht mehr so sichtbar ist, geht es unter den vielen anderen Gesundheitsthemen unter. Das ist verständlich. Doch weniger nachvollziehbar ist, warum internationale Akteure weiterhin Länder mit niedriger HIV-Prävalenz wie in West- und Zentralafrika ignorieren.
7. Nur reiche, stabile Länder können eine lebenslange, tägliche Behandlung ermöglichen.
FALSCH.
Auch dieser Punkt scheint logisch Sinn zu ergeben – schließlich sind selbst die Gesundheitssysteme in reichen Ländern bereits stark unter Druck, um für eine wachsende Zahl an Menschen mit chronischen Krankheiten eine entsprechende Behandlung bereitzustellen: Diabetes, Adipositas,… Und das im Vergleich zur Situation in einem Land wie Malawi, das für 10% seiner erwachsenen Bevölkerung eine tägliche HIV-Behandlung gewährleisten muss – obwohl das Land sechs Mal weniger Gesundheitsfachkräfte hat, als die Weltgesundheitsorganisation WHO als Mindeststandard empfiehlt.
Tatsächlich wurde der bemerkenswerteste Fortschritt gegen HIV/AIDS in ressourcenarmen Ländern erreicht. Die Einführung von antiretroviralen Medikamenten in den 2000er-Jahren war der wichtigste Faktor, um die Lebenserwartung in Südafrika zu erhöhen.
Wir müssen jetzt handeln!
Ärzte ohne Grenzen konnte über die Jahre viele Erfahrungen sammeln, wie man HIV-Betroffenen in Konfliktregionen eine Behandlung ermöglichen kann – zum Beispiel im Jemen oder in der Zentralafrikanischen Republik. So wird verhindert, dass die Menschen gleichzeitig zu Opfern des Krieges und ihres HIV-Status gemacht werden. Selbst in den herausforderndsten, unsichersten Gebieten ist eine anhaltende Behandlung unbedingt nötig.
Nur weil ein Land begrenzte Ressourcen hat, oder die Situation kompliziert oder unsicher ist, heißt das noch nicht, dass Menschen, die mit HIV leben müssen, keine antiretroviralen Medikamente bekommen können.
Es ist absolut essentiell, dass niemand von uns, nirgends auf der Welt, die am meisten vernachlässigten Opfer von HIV/AIDS vergisst. Deshalb ruft Ärzte ohne Grenzen die Geberländer, die betroffenen Regierungen und die Vereinten Nationen dazu auf, einen raschen Aufholplan zu entwickeln und umzusetzen, damit eine lebensrettende antiretrovirale Behandlung in Ländern aufgestockt werden kann, wo sie weniger als ein Drittel der Bevölkerung erreicht – vor allem in West- und Zentralafrika.
Es ist an der Zeit.
PS: Bitte teilen Sie diesen Aufruf!