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Niger: „Mamas Licht“ gegen Kindersterblichkeit
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Côme Niyomgabo (40) aus Burundi hat vor kurzem seinen Einsatz in Niger beendet: Er war als Projektkoordinator für neun Monate in einem Projekt zur Senkung der Kindersterblichkeit in Bouza in der Region Tahoua tätig. Zwei der Hauptgründe für die Kindersterblichkeit in Niger sind Malaria und Mangelernährung.
Im folgenden Interview berichtet er von seinen Erfahrungen während des Einsatzes.
Wie ist die aktuelle Lage in Bouza?
Wir haben gerade die schwierigste Zeit des Jahres hinter uns gebracht: Nahrungsmittelknappheit und eine hohe Verbreitung von Malaria auf Grund der Regenzeit. Die Phase zwischen Juni und Oktober ist die kritischste Periode für junge Kinder – seit Anfang November ist die Zahl der eingewiesenen Kinder zurückgegangen.
Trotzdem ist es eine chronische Krise, sie kommt Jahr für Jahr wieder, deshalb stellen wir uns bereits auf den nächsten Ausbruch vor. Auf Grund unserer Erfahrung wissen wir, dass Vorausplanung ein wichtiger Faktor ist; wir brauchen ein gut geschultes Team um eingreifen zu können. Besonders im ländlichen Gebiet Bouza ist der Mangel an qualifiziertem Personal eine große Herausforderung, ebenso wie der Zugang zu medizinischer Versorgung. Die Dörfer sind oft sehr abgeschieden und die Straßen während der Regenzeit unpassierbar.
Welche Aktivitäten wurden im Projekt während der vergangenen Monate durchgeführt?
Zwei der Hauptgründe für die Kindersterblichkeit in Niger sind Malaria und Mangelernährung. Während der kritischen Monate haben wir versucht, für kranke Kinder qualitativ hochwertige Behandlung zum frühestmöglichen Zeitpunkt anzubieten.
Das Gesundheitssystem in Bouza basiert einerseits auf Gesundheitsposten namens „ Cases de Santé“ („Gesundheitshütten“) , wo ein medizinischer Betreuer mit nur sehr grundlegender Ausbildung zur Verfügung steht. Andererseits gibt es integrierte Gesundheitszentren – die allerdings unter dem chronischen Mangel an qualifiziertem Pflegepersonal leiden – und das Bezirksspital in der Stadt Bouza.
Im Jahr 2013 hat Ärzte ohne Grenzen ein Programm namens PECADOM durchgeführt. Im Rahmen dessen versuchen wir, so nah wie möglich an die PatientInnen heranzukommen, indem wir vereinfachte Methoden zur Diagnose und Behandlung von Malaria und anderen Kinderkrankheiten einsetzen. Außerdem haben wir „Malaria-Beauftragte“ ausgebildet, die in entlegenen Dörfern arbeiten und die „ Cases de Santé“ unterstützen . Sie helfen dabei, frühe Stadien von Malaria zu diagnostizieren, einfache Fälle zu behandeln und komplizierte zu überweisen.
Wir haben weiters die saisonale Malaria-Präventation gestartet, bei der Kinder im Alter von drei Monaten bis fünf Jahren ein Mal monatlich Medikamente zum Schutz vor Malaria erhalten. Die Maßnahme findet von Juli bis Oktober statt; die vier Monate, in denen die Malaria-Übertragungsrate am höchsten ist. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich die betreffenden Kinder mit Malaria oder einer milderen Form der Krankheit anstecken, ist so sehr viel geringer. Die Strategie wurde auch von der Bevölkerung sehr gut angenommen. Die Anzahl der behandelten Kinder ist von Mal zu Mal gestiegen. Wenn wir heute mit den BewohnerInnen in verschiedenen Gebieten sprechen bestätigen sie uns, dass die Anzahl der Fälle sowie die Anzahl der Überweisungen gesunken sind.
Wie werden die Gemeinden in das Projekt von Ärzte ohne Grenzen eingebunden?
Wir machen in den Gemeinden viel Aufklärungsarbeit. Unsere Teams arbeiten mit 140 Freiwilligen, die Informationen über Mangelernährung und Malaria in den Dörfern verbreiten, aber auch was zu tun ist wenn ein Kind krank ist, etc. Die Rolle dieser Freiwilligen ist sehr wichtig um Zugang zur Bevölkerung zu haben und die Informationen weiterzuverbreiten.
Wir haben auch eine Strategie entwickelt namens „ Mamans lumière“ („Mamas Licht“) , die sich an Kinder richtet die dem Risiko schwerer akuter Mangelernährung ausgesetzt sind. Die Mütter dieser Kinder werden Teil einer Gruppe von Müttern die von Ärzte ohne Grenzen ausgebildet werden: Sie erhalten eine Einschulung wie man Nahrungsmittel so zubereitet dass die am nahrhaftesten sind und so die Ernährungsbedürfnisse ihrer Kinder erfüllen. Die Mütter bringen ihr eigenes Essen, kochen gemeinsam und füttern dann ihre Kinder. Diese Strategie beteiligt die Gemeinschaft in der Prävention und Behandlung von Mangelernährung und integriert gleichzeitig respektvoll die jeweilige Gemeinde und deren Kultur. Verschiedene Entscheidungsträger sowie traditionelle oder religiöse Führer beteiligen sich ebenfalls an der Mobilisierung.
Kannst du deine Erfahrungen in Bouza mit einem Bild oder einem Erlebnis zusammenfassen?
Eines Tages während einer Supervision gemeinsam mit einem verantwortlichen Arzt des Gesundheitsministeriums besuchten wir eines der entlegensten „ Cases de santé“ des Bezirks. Als der zuständige Betreuer die Tür der kleinen Einrichtung öffnete, war der Raum dahinter schmutzig und unaufgeräumt. Ich hatte eine prompte Reaktion des verantwortlichen Arztes erwartet, aber er blieb still, was mich überraschte. Sobald wir draußen waren, sagte er: „Wenn ich ihm sage, dass dieser Zustand inakzeptabel ist, wird er gehen und sich wo anders Arbeit suchen. Es herrscht ein großer Mangel an Personal… und die Menschen werden dann keinen Zugang zu Gesundheitsversorgung mehr haben.“ Er gab ihm einige Empfehlungen und wir von unserer Seite baten den Supervisor des Pflegepersonals ihn zu unterstützen sowie zu schulen und zu beaufsichtigen. Die Situation hat sich seitdem sehr verbessert. Dieses Beispiel zeigt, wie man die Betreuer motivieren kann, die Situation in den „ Cases de santé“ zu verbessern. Am Ende des Tages hatten wir eine sehr positive Veränderung erreicht.
Das beweist, dass man rasch eine Verbesserung erreichen kann, wenn man es wirklich versucht und sich anstrengt. Wenn man schwer kranke Kinder sieht, die wegen Mangelernährung oder anderer Symptome zu uns kommen, und später ihre schnelle Erholung beobachten kann und wie sie ihre Mütter anlächeln… Das ist wohl das Bild, dass sich mir am tiefsten eingeprägt hat, und das ich von meinen Erfahrungen hier mitnehmen werde.
Ärzte ohne Grenzen ist seit 1985 im Niger tätig und konzentriert sich hauptsächlich auf eine bessere Gesundheitsversorgung für Kinder unter fünf Jahren und schwangere Frauen. Unsere Teams in den Regionen Zinder, Maradi und Tahoua bieten Kindern in 38 Gesundheitszentren ambulante Aufbauernährungsprogramme an. Fälle mit Komplikationen werden stationär in Ernährungszentren in den Spitälern von Zinder, Magaria, Madarounfa, Guidan Roumdji, Madoua und Bouza behandelt.