Müttersterblichkeit in Äthiopien: „Es ist herzzerreißend.”

28.07.2015
Eine verzweifelte Hebamme schöpft Hoffnung: Zusammenarbeit mit traditionellen Geburtshelferinnen sichert das Leben von Schwangeren, Müttern und Kindern in Äthiopien.
Maternity ward in Ethiopia
Matthias Steinbach/MSF
Maternity ward of Dolo Ado health centre, in Ethiopia.

Traditionelle Auffassungen und fehlendes Wissen führen dazu, dass viele Frauen in Äthiopien Angst davor haben, ihr Kind in einem Gesundheitszentrum zur Welt zu bringen. In der Region Dolo Ado arbeitet Ärzte ohne Grenzen daher mit traditionellen Geburtshelferinnen zusammen.

Elf von ihnen wurden geschult und unterstützen dort jetzt die professionelle medizinische Versorgung. Die Aufnahmen im Gesundheitszentrum sind seither deutlich gestiegen - von 18 bis 20 pro Monat auf 50 bis 70. Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen begleiten u.a. die Mütter zum Gesundheitszentrum und bringen Schwangere zur Entbindung, Schwangerenvorsorge und -nachsorge. Unsere Hebamme Aisha Akello erzählt, wie verzweifelt sie früher angesichts der Situation oft war und welche Hoffnungen sie nun hat.

„Als Rabiya Osman zum Gesundheitszentrum gebracht wurde, stand sie an der Schwelle zum Tod”, erinnert sich Aisha Akello, Hebamme bei Ärzte ohne Grenzen. „Rabiya war bewusstlos und blutete sehr. Es gelang uns zwar die Blutung zu stoppen, aber sie litt bereits an schwerer Blutarmut. Wir hätten unbedingt eine Transfusion durchführen müssen. Nur leider war ihre Familie dagegen. Alle Bemühungen, sie davon zu überzeugen, waren vergebens.” In den entscheidenden Stunden zuvor konnte die traditionelle Geburtshelferin nur wenig für Rabiya Osman (23) und ihr Kind tun. Die junge Frau verlor erst sehr viel Blut und ihr Bewusstsein. Dann ihr Baby. Dabei ist ihr Zuhause nur rund 200 Meter vom Gesundheitszentrum entfernt.

Wie Rabiya Osman ergeht es vielen Frauen in Dolo Ado. „Viele Frauen und ihre Familien sind gegen die wichtigsten lebensrettenden Maßnahmen in der Entbindungsstation, wie Bluttransfusionen und Kaiserschnitte”, sagt Aisha Akello. "Und bis wir sie endlich von der Notwendigkeit überzeugen können, ist es oft zu spät. Entweder ist das Baby tot oder die Mutter ist in einem lebensbedrohlichen Zustand."

Hohe Müttersterblichkeit in der Region

„Es ist herzzerreißend. Manchmal stehe ich nachts auf, denke an all das, was passiert ist, suche nach Lösungen, um etwas dagegen zu tun. Wären diese Mütter rechtzeitig zu uns gekommen, hätten wir ihr Leben und das ihrer Kinder retten können. Es ist sehr traurig zu sehen, wie Frauen an vermeidbaren schwierigen Zuständen sterben”, sagt Aisha Akello, Hebamme für Ärzte ohne Grenzen.

Fehlendes Wissen und die Angst in einem Gesundheitszentrum zu gebären basieren auf traditionellen Auffassungen. Weil die Geburt zu Hause als sicherer gilt, schrecken viele Frauen davor zurück, ihr Kind nicht traditionell zu bekommen. Dazu kommt die Tatsache, dass die Männer das Recht haben, wichtige Entscheidungen zu treffen, nicht die Frauen. Außerdem werden viele Menschen in diesen Entscheidungsfindungsprozess einbezogen. Damit vergeht viel Zeit – Zeit, die genutzt werden könnte, um die Leben der Frauen und ihrer Kinder zu sichern.

Aisha Akello arbeitet seit mehr als 13 Jahren als Hebamme, davon sieben Jahre für Ärzte ohne Grenzen. Wenn sie jetzt ihre Erfahrungen aus Uganda, Nigeria, dem Südsudan, Sudan und Äthiopien miteinander vergleicht, schätzt sie die Müttersterblichkeit in der Region rund um Dolo Ado als die höchste ein. „Wir verlieren Frauen durch Geburtsstillstand, Krampfanfälle in der Schwangerschaft und Blutungen nach der Geburt. Dies könnten wir eigentlich behandeln, aber da sie zu spät zu uns kommen, sind unsere Möglichkeiten sehr begrenzt.”

Sensibilisierung für mehr Gesundheitsförderung

Im Dezember 2014 initiierte Ärzte ohne Grenzen deshalb ein Programm, das die traditionellen Geburtshelferinnen der Region zusammenbringt, damit sie die Gesundheitsförderung der Organisation unterstützen. Elf traditionelle Geburtshelferinnen wurden ausgewählt und geschult. Seither ist je eine Helferin für jeweils eines der elf Dörfer in Dolo Ado im Einsatz. Erste Berichte zeigen schon jetzt, dass mit Beginn des Programms deutlich mehr Menschen für eine medizinische Versorgung sensibilisiert werden konnten, die Aufnahmen im Gesundheitszentrum sind deutlich gestiegen, von 18 bis 20 pro Monat auf 50 bis 70 (März: 54, April: 70 und Mai: 51). Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen begleiten die Mütter zum Gesundheitszentrum, helfen dem Team bei der Aufklärung und Weiterbildung zur Mutter- und Kind-Gesundheit und bringen Schwangere zur Entbindung, Schwangerenvor- und -nachsorge.

Das ist der Schritt in die richtige Richtung. Auch Aisha Akello ist jetzt hoffnungsvoll, dass immer mehr Mütter zum Gesundheitszentrum kommen für Entbindungen, Schwangerenvorsorge und -nachsorge und Impfungen für ihre Kinder.

Die Stadt Dolo Ado im Süden des Landes liegt in der Verwaltungszone Liben der Region Somali. Ärzte ohne Grenzen arbeitet dort seit 2009 und sichert dabei die primäre und sekundäre Gesundheitsversorgung im Dolo Ado Gesundheitszentrum. In Abstimmung mit der äthiopischen Regierung und dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) bietet Ärzte ohne Grenzen medizinische und humanitäre Unterstützung der somalischen Flüchtlinge in den Camps Buramino und Hiloweyn.

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