Mogadischu: Hilfe für die Vertriebenen noch immer nicht ausreichend

11.10.2011
Situation in der Hauptstadt erschwert Unterstützung
Somalia 2011
Yann Libessart/MSF
Mogadischu, Somalia, 25.09.2011: Seit Juli 2011 haben etwa 150.000 Menschen in Mogadischu Hilfe gesucht. Ärzte ohne Grenzen betreibt Ernährungszentren und führt Impfungen gegen Masern durch.

Nach 20 Jahren Bürgerkrieg hat die somalische Hauptstadt Mogadischu in den letzen drei Monaten einen massiven Zustrom von Vertriebenen erlebt. Das Bereitstellen von Hilfe für die Menschen, die vor dem Hunger und den Kämpfen geflohen sind, ist eine ständige Herausforderung in dieser Stadt.

Seit Juli haben mehr als 150.000 Somalierinnen und Somalier ihre Heimatprovinzen Bay, Bakool, Hiran, Lower und Middle Shabelle verlassen, um in der Hauptstadt Zuflucht zu suchen. Diese große Zahl an Vertriebenen ist das Resultat einer schlechten landwirtschaftlichen Produktion, des Verlustes von Vieh durch die Dürre, steigender Preise und andauernder Unsicherheit. Die 26-jährige Deka, verließ den Kuntawarey Distrikt in Lower Shabelle nachdem ihre Kühe gestorben waren. „Auf einem Lastwagen reiste ich mit meinem Sohn zwei Tage lang, um nach Mogadischu zu kommen und meine Verwandten im Lager Barwako zu finden“, erzählt sie. Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen sagten mir, dass mein Sohn an Unterernährung leide, deswegen brachte ich ihn in das Spital. Meinem Sohn geht es langsam besser, und mir auch, da auch ich hier Nahrung bekomme.“

Große gesundheitliche Probleme

Diese Fluchtbewegung verursacht viele gesundheitliche Probleme. Aber im Moment stellen die Masern die größte Bedrohung dar. Ärzte ohne Grenzen arbeitet deswegen daran, die Ausbreitung dieser Krankheit – die speziell für Kinder sehr gefährlich ist –  zu verhindern. Seit Anfang August hat Ärzte ohne Grenzen mehr als 40.000 Kinder unter 15 Jahren geimpft. „Das klingt viel, aber wenn wir die Epidemie nur irgendwie stoppen wollen, dann müssen wir mindestens zehn Mal so viele Kinder und Jugendliche impfen“, erklärt Dr. Andrias Karel Keiluhu, der medizinische Koordinator von Ärzte ohne Grenzen. „Logistische und Sicherheitseinschränkungen erschweren dieses Ziel.“

Humanitäre Hilfsorganisationen ringen wegen des anhaltenden Konflikts zwischen der Übergangsregierung Somalias (unterstützt von Truppen der Mission der Afrikanischen Union in Somalia) und der bewaffneten Al-Shabaab-Bewegung um einen Zugang zu den an meisten betroffenen Gebieten. Aus diesem Grund fliehen viele Somalierinnen und Somalier in der Hoffnung, in Kenia, Äthiopien oder in der somalischen Hauptstadt Hilfe zu finden.

Verstreute "Siedlungen"

Wie Deka, landen die meisten Neuankömmlinge in den schon existierenden Lagern, die mittlerweile am Rande ihrer Kapazität angelangt sind. Andere Vertriebene haben sich an einigen noch nicht besetzten Stellen der Stadt niedergelassen. Ihre behelfsmäßigen Behausungen sind aus Holz und Plastik, das überall in der Stadt herumliegt. Mittlerweile gibt es etwa 200 solcher „Siedlungen“ in verschiedener Größe.

Es ist sehr schwierig, in diesen verstreuten Siedlungen Hilfe bereit zu stellen. Die Lager leeren sich tagsüber, wenn die Menschen sich auf auch die Suche nach Nahrungsmittel machen. „Die Verteilung von Nahrungsmitteln passiert noch immer sehr unregelmäßig und unzureichend“, sagt Eymeric Laurent-Gascon, der Programmkoordinator von Ärzte ohne Grenzen. „Manche der vertriebenen Menschen haben noch keine Nahrungsmittel bekommen seit sie hier angekommen und auf Hilfe angewiesen sind. Einige Hilfsorganisationen haben Ernährungszentren errichtet, in denen Güter von lokalen Märkten verteilt werden. Das hat zu einer signifikanten Inflation geführt. Wenn die Preise weiter so steigen, wird es der ganzen Bevölkerung der Stadt nicht mehr möglich sein, sich ohne Hilfe von Außen zu ernähren.“

Therapeutische Nahrung

Die Zahl der Kinder im Lager, die unterernährt sind variiert von 5 bis 50 Prozent. Dies ist abhängig davon, wann sie angekommen sind und ob sie Zugang zu Wasser und Lebensmittel haben. Die Kinder, die erst kürzlich angekommen sind, befinden sich in der schlechtesten Verfassung. In Mogadischu betreibt Ärzte ohne Grenzen vier therapeutische Ernährungszentren, in denen die schlimmsten Fälle von Unterernährung auch behandelt werden. Im September 2011 wurden hier fast 500 Kinder behandelt. Zusätzlich erhalten auch Mütter, die in eines der zwölf mobilen Behandlungszentren kommen, therapeutische Fertignahrung für ihre kleinen Kinder. Diese Fertignahrung basiert auf Erdnussbutter und ist mit essentiellen Nährstoffen angereichert. Bis jetzt haben etwa 5.000 Kinder diese Fertignahrung bekommen.

Infektionskrankheiten

Die Bevölkerung von Mogadischu wird derzeit auf mehr als eine Million Menschen geschätzt. Die Hälfte davon sind Vertriebene. Die medizinischen Bedürfnisse übersteigen bei weitem die Gesundheitskapazitäten und täglich kommen weitere Menschen in der Hauptstadt an. Diese Vertriebenen leben unter prekären gesundheitlichen Bedingungen. Das Immunsystem ist von der schlechten Ernährung geschwächt. Viele von ihnen sind noch nie geimpft worden. Ansteckende Krankheiten – unter ihnen Cholera, Lungenentzündung, Denguefieber und Malaria – sind verbreitet in der Stadt. Die Regenperiode, die im Oktober beginnt, kann die Ausbreitung der Krankheiten verstärken.

Trotz eines Bombenanschlags, bei dem einige Dutzend Menschen getötet wurden, ist die Lage im Vergleich zur Vergangenheit relativ stabil. „Das könnte sich leicht ändern. Deswegen ist es notwendig, so viel Unterstützung wie möglich zu geben“, sagt Ärzte ohne Grenzen Landeskoordinator Thierry Goffeau. „Neue humanitäre Akteure sind angekommen. Gute Zusammenarbeit ist jetzt sehr wichtig, um die Bedürfnisse der Menschen zu identifizieren, ihnen richtig zu begegnen und  gleichzeitig aufmerksam zu bleiben. Der Anschlag erinnert daran, dass ruhige Phasen in Mogadischu sehr kurz sein können.“