Mangelernährung: „Es ist ein Teufelskreis“

09.11.2016
Voller Einsatz: Unser Ernährungsexperte Stéphane Doyon hat die Folgen von Mangelernährung oft persönlich miterlebt. Im Interview erklärt er Ursachen und Behandlungsmethoden.

Themengebiet:

MSF intervention in Borno state, Nigeria
Benoit Finck/MSF
OPD in Bolori 2 (a district in Maïmusari). Ambulatory therapeutic feeding center.

Wenn Menschen über einen längeren Zeitraum nicht genug Nahrung haben oder bei der Ernährung wichtige Nährstoffe fehlen, entsteht Mangelernährung. Besonders Kinder sind davon betroffen. Stéphane Doyon war jahrelang als Ernährungsexperte im Rahmen der Medikamentenkampagne von Ärzte ohne Grenzen tätig. Derzeit leitet er unser Büro im Senegal. Im Gespräch mit dem Magazin Diagnose erklärt er die Ursachen und Behandlungsmethoden von Mangelernährung. 

Warum sind Kinder anfälliger für Mangelernährung als Erwachsene?

Image removed.Kinder sind im Entwicklungsstadium, da kann Mangelernährung sehr kritisch sein. Vom Moment ihrer Geburt an wachsen sie ständig, ihr Gehirn entwickelt sich, ihre Bewegungsfähigkeit nimmt zu. All diese Entwicklungen brauchen ein bestimmtes Maß an richtigen Nährstoffen, sozusagen dem richtigen Treibstoff für ein Kind. Deshalb braucht es eine ausgewogene Ernährung, um gesund zu wachsen.

Was passiert, wenn der Körper nicht genug Nahrung bekommt?

Wenn der Körper nicht ausreichend Nährstoffe bekommt, schwindet zuerst der Fettanteil und danach die Muskeln. Mangelernährung schwächt den Körper und in der Folge auch das Immunsystem. Die Menschen werden anfälliger für Krankheiten, weil der Körper keine Abwehrkräfte mehr hat. Dadurch wird der Krankheitsverlauf verschlimmert, oft kommt es zu Komplikationen. Es ist ein Teufelskreis.

Wie behandelt Ärzte ohne Grenzen Mangelernährung?

Wir führen üblicherweise Screenings durch, also Untersuchungen, bei denen wir Fälle von Mangelernährung identifizieren und die Kinder in Ernährungsprogramme aufnehmen. Vor rund zehn Jahren fand hier eine wahre Revolution statt. Davor musste jedes Kind stationär in einer Klinik aufgenommen und behandelt werden. Sie erhielten dort therapeutische Milch, eine Mischung, die etwa 1994/95 entwickelt worden war. Das Problem war allerdings, dass die Kinder eben stationär behandelt werden mussten. Es gab zu wenige Kliniken und zu wenige Betten, um eine ausreichende Versorgung zu ermöglichen. Das änderte sich, als ein Ernährungsexperte eine Paste aus Erdnüssen entwickelte, die auch Milch, Öle und alle wichtigen Nährstoffe enthält. Das Wichtige daran ist, dass diese Paste in einem Beutel verpackt ist, aus dem die Kinder direkt essen können und sie nicht weiter zubereitet werden muss. Dadurch war es plötzlich möglich, die Kinder zu Hause zu behandeln.

Was bedeutet das konkret?

Wenn wir jetzt Kinder vorfinden, die mangelernährt sind, müssen nur ein oder zwei von zehn Kindern ins Krankenhaus überstellt werden. Das ist nur nötig, wenn sie zusätzlich krank sind und eine Behandlung brauchen. Alle anderen können zu Hause versorgt werden und kommen nur zu wöchentlichen Untersuchungen in die Klinik.

Gibt es Erfolgsgeschichten in der Behandlung?

Ja. Zum Beispiel, wenn ich ein Kind in meinen eigenen Armen in eine Klinik trage und mir kaum vorstellen kann, dass es überleben wird. Und dann aber sehe, dass die Therapie rasch anschlägt. Wenn das Kind dann schon eine Woche später wieder gehen kann und ich zwei Wochen später mit ihm spiele. Das sind große Erfolge. Die heutige Behandlungsmethode ist nicht aufwendig, kostengünstig und zeigt sehr rasch Fortschritte.

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