Malawi: Tochter der Fluten – im Chaos geboren

05.02.2015
Wie Berita inmitten der Überschwemmungen ihre Tochter zur Welt brachte
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Rowan Pybus
Makhanga, Malawi, 30.01.2015: Berita hat ihr Kind unter schwierigsten Umständen geboren: 13 Tage nach den verheerenden Überschwemmungen hat sie mithilfe unseres Geburtshelfers Clive Kasalu das Mädchen zur Welt gebracht. Ihr Dorf ist seit 9. Jänner nur per Helikopter erreichbar.

Malawi wurde kürzlich von den schwersten Überschwemmungen der jüngsten Geschichte verwüstet. Wochen später kämpft die Bevölkerung weiterhin damit, wieder ein normales Leben führen zu können, denn viele haben ihren Besitz und ihre Ernte verloren. Die Menschen bereiten sich so gut wie möglich auf ihre schwierige Zukunft vor – darunter auch Berita und ihr Neugeborenes.

Berita lief nicht davon, als die Flut kam. Sie konnte gar nicht, denn es gab keinen Ort, wo sie hinlaufen hätte können: Die kleine Dorfgemeinschaft Makhanga, wo insgesamt rund 5.000 Menschen leben, liegt auf einem flachen Hügel. Man es kann es zwar kaum einen Hügel nennen, doch immerhin liegt das Gebiet etwas höher als die weite Prärie des südlichen Malawi.

Berita lief aber auch nicht davon, weil sie im achten Monat schwanger war.

Menschen flüchten vor dem Wasser auf Bäume

Das Wasser kam in der Nacht. Um drei Uhr morgens wachte Berita auf: In ihrem Haus stand Wasser und berührte bereits die Decke, auf der sie schlief. Es stieg langsam, aber stetig. Knöcheltief, Knietief… Bis es dann die Fensterbank erreichte. Das Wasser verschlang die Kornfelder, die das Dorf ernährten. Es verschmutzte die Brunnen, von denen die Familien ihr Trinkwasser holten. Es überschwemmte die lokale Gesundheitsklinik mit einem dicken Schlamm, der an Medikamenten, Instrumenten und allem anderen klebte.

Man konnte nirgendwo hin flüchten außer hinauf – und es gab nichts Höheres als Bäume. Mathias, Beritas Ehemann, zog seine schwere Frau und ihre fünf Kinder hinauf in das Geäst eines Baumes, die Zweige immer noch durchnässt von den schweren Regenfällen. Sie bleiben vier Tage lang dort oben. Das Baby strampelte weiter in Beritas Bauch.

Wehen setzen ein, doch die Klinik ist geschlossen

Und dann war es soweit: Früh morgens an einem Donnerstag, dem 22. Jänner. 13 Tage nachdem die Fluten gekommen waren und alle ihre Habseligkeiten weggeschwemmt hatten fühlte Berita, dass das Baby bereit war – doch sie war es nicht. „Wir gingen zur Klinik, doch sie war geschlossen. Es gab niemanden, der helfen konnte. Mir wurde gesagt dass ich warten solle, dass ein Helikopter kommen würde, der mich zu einer anderen Klinik bringt“, erinnert sie sich. Zu diesem Zeitpunkt war Makhanga bereits eine Insel und vom Rest des Landes abgeschnitten. Die Ausnahme waren nur Hilfsgüter, die ab und an aus der Luft abgeworfen wurden.

Improvisierte Geburtshilfe

„Nach unserer Landung wurde uns gesagt, dass eine Frau bereits fortgeschrittene Wehen hätte. Doch es gab niemanden, der die Geburt begleiten konnte. Also kümmerte ich mich darum“, so Clive Kasalu, ein Krankenpfleger und Geburtshelfer aus Malawi, der für Ärzte ohne Grenzen arbeitet.

Clive hatte ein Notfall-Kit bei sich und kann auf 14 Jahres Berufserfahrung zurückblicken – daher war er zuversichtlich. „Doch wir mussten etwas improvisieren“, erzählt er. Zu diesem Zeitpunkt arbeitete das Team von Ärzte ohne Grenzen bereits seit drei Tagen in Makhanga, doch nur Teile der Klinik konnten in dieser Zeit wieder instand gesetzt werden. Also beauftragte Clive einen Assistenten damit, hin und her zu laufen um Wasser zu bringen, während sich Clive auf die unter den Schmerzen leidende Mutter konzentrierte.

Es ist ein Mädchen.

Nach einer Stunde klammerte sich Berita unter Schmerzen und im Schweiße ihres Angesichts an das Krankenbett. Ihr Mann Mathias, der Dorfvorsteher, wartete inzwischen draußen – denn es ist hier ein Tabu für Väter, einer Geburt beizuwohnen. Dann schlussendlich zur Mittagszeit hatte Makhanga ein weitere Bewohnerin: Ein schreiendes, gesundes, hungriges Mädchen mit 2.9kg Geburtsgewicht.

Vier Wochen nachdem Makhanga von den Überschwemmungen getroffen wurde sind die Einwohner weiterhin auf der Insel gefangen. Ärzte ohne Grenzen unterstützt die Bevölkerung laufend via Helikopter mit medizinsicher Hilfe. Doch die Folgen der schwersten Fluten, an die sich die Menschen in Malawi jemals erinnern können, werden von den Menschen noch lange zu spüren sein.

Häuser und Felder zerstört – eine unsichere Zukunft

„Ich bin froh, dass ich mein Baby habe“, sagt Berita. „Doch wir haben nicht genug Essen, nicht ausreichend sauberes Wasser, und keine Kleidung.“ Ihr Haus aus Ziegeln und Lehm, das vor einem Jahr gebaut wurde, steht noch. Doch es trägt Zeichen der schweren Überschwemmung. Außerdem ist es momentan völlig überfüllt, denn hier suchen Verwandte Zuflucht, die ihre Häuser bei der Überflutung verloren haben. Im Haus mit einem Schlafzimmer leben derzeit 13 Menschen. Das Feld der Familie, das kürzlich erst bepflanzt worden war, wurde völlig zerstört – und damit jegliche Hoffnung auf eine Ernte in den kommenden Monaten.

Doch das Leben muss weitergehen.

Das kleine Mädchen, das nun zwei Wochen alt ist, hat noch keinen Namen.

Mehr erfahren: Interview mit Julien Lefèvre nach seinem Erkundungsflug im Süden des Landes „Tausende Menschen nach Überschwemmungen gestrandet“

Ärzte ohne Grenzen hat in den betroffenen Gebieten in Malawi Zelte aufgebaut, Hilfsgüter, Moskitonetze und Kits zur Wasseraufbereitung verteilt. Die Teams haben auch Latrinen gebaut, um den Ausbruch von Krankheiten zu verhindern, die über das Wasser übertragen werden. Die Organisation ist seit 1986 in Malawi tätig und betreibt dort derzeit drei HIV/Aids-Hilfsprogramme – eines davon in Nsanje, das ebenfalls von der Überflutung betroffen ist. In den letzten Jahren hat Ärzte ohne Grenzen 2011, 2012 und 2013 Hilfseinsätze nach Überschwemmungen durchgeführt.