Libyen: Schockierende Zustände in den Krankenhäusern in Tripolis

27.08.2011
Ärzte ohne Grenzen weitet die medizinische Hilfe in der libyschen Hauptstadt aus
Libyen 2011
Eddy McCall/MSF
Misrata, Libyen, 05.07.2011: Überall in Libyen sind die Spuren des Krieges zu sehen, wie an diesen Gebäuden in Misrata.

Die Situation in Tripolis bleibt weiterhin sehr angespannt, auch wenn immer mehr Gebiete für medizinische Hilfe zugänglich werden. Ärzte ohne Grenzen hat begonnen, in medizinischen Einrichtungen in der Hauptstadt zu arbeiten, spendet lebensrettende Medikamente und Material und überweist Patienten, die dringend medizinische Hilfe benötigen. Die Szenen, die sich den Teams in einigen Krankenhäusern boten, waren Mitarbeitern zufolge schockierend. Vierzehn internationale Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen sind derzeit in Tripolis, weitere werden in den nächsten Tagen folgen.

Am 25. August rettete Ärzte ohne Grenzen zwei Patienten in kritischem Zustand aus dem derzeit schwer umkämpften Krankenhaus Abu Salim und transportierte sie ins Tripolis Medical Center.

“Als wir in Abu Salim ankamen, bot sich ein schockierendes Bild: Dutzende Tote lagen überall im Krankenhaus-Areal verteilt”, erzählt Johnathan Whittall, Notfallkoordinator von Ärzte ohne Grenzen.” Abu Salim war durch die Kämpfe komplett von der Umwelt abgeschnitten, doch 22 Patienten und fünf medizinische Mitarbeiter steckten noch dort fest. Es ist uns gelungen, die beiden Patienten mit dem kritischsten Gesundheitszustand zuerst zu evakuieren, die sonst höchstwahrscheinlich verstorben wären. Später wurden auch die anderen Patienten in sicherere Einrichtungen überführt.”

Auch wenn in einigen Gebieten mittlerweile wieder Ruhe eingekehrt ist, wird in unmittelbarer Nähe mancher medizinischer Einrichtungen noch immer erbittert gekämpft, was Gesundheitspersonal und Patienten, die dringend medizinische Hilfe benötigen, den Zugang unmöglich macht. Das libysche Personal, das seit einer Woche rund um die Uhr im Einsatz ist, um die zahlreichen Patienten zu versorgen, ist vielenorts überlastet und erschöpft. Der Vorrat an lebensrettendem medizinischem Material, an Ausrüstung, Treibstoff und Strom ist in den meisten medizinischen Einrichtungen erschöpft.

Seit dem 26. August unterstützt ein achtköpfiges Team von Ärzte ohne Grenzen, bestehend aus zwei Anästhesisten, zwei OP-Schwestern, einem Chirurgen, zwei Krankenschwestern, einem Notfallarzt und einem Notfallkoordinator, das Krankenhaus in Matiga. Bis Samstagabend haben dort 60 Patienten medizinische Versorgung erhalten – unter ihnen Verwundete der Kämpfe. Ärzte ohne Grenzen hat dem Krankenhaus außerdem lebensrettende Medikamente sowie medizinisches Material, darunter Narkosemittel, Antibiotika, Verbandsmaterial und chirurgische Ausrüstung zur Verfügung gestellt.

Ärzte ohne Grenzen unterstützt das Brotherhood Krankenhaus, wo das libysche Personal in den letzten Tagen mit einem großen Anstieg an Verwundeten fertig werden musste wurde, mit medizinischem Material.

Am 27. August wird ein Einsatzteam die medizinischen Bedürfnisse in zahlreichen anderen Gesundheitseinrichtungen in Tripolis evaluieren, darunter ein Mutter-Kind-Krankenhaus, das Allgemeine Krankenhaus und das Tripolis Medical Center.

„Zusätzlich zu der hohen Anzahl an Verletzten, sind die überlasteten medizinischen Einrichtungen mit einer ganzen Reihe an anderen, alltäglichen Notfällen konfrontiert“, erklärt Paulo Reis, medizinischer Koordinator von Ärzte ohne Grenzen. „Eine Frau mit Komplikationen bei der Geburt braucht einen Kaiserschnitt. Ein Patient, der an einer chronischen Krankheit leidet, muss seine Behandlung fortsetzen. Es geht nicht nur um die direkten Konsequenzen der Kämpfe. Die medizinischen Einrichtungen benötigen dringend unsere Unterstützung.“

Ärzte ohne Grenzen versucht auch, medizinisches Material ins Zwara Krankenhaus westlich von Tripolis zu liefern, wo die Kämpfe noch immer anhalten.

Ärzte ohne Grenzen hat bereits drei Tonnen Verbandsmaterial und dringend benötigtes Chirurgiematerial, einschließlich externer Fixatoren, von Tunesien nach Libyen entsandt. Zusätzlich wird Ärzte ohne Grenzen über zehn Tonnen medizinisches Material per Boot von Tripolis nach Malta schicken. Weitere drei Tonnen an medizinischen Vorräten, Medikamenten und Ausrüstungen wurden vom Projekt in Misrata entsandt.

Ärzte ohne Grenzen ist seit 25. Februar in Libyen tätig und betreibt neben dem Noteinsatz in Tripolis auch Projekte in Bengasi, Misrata, Yefren, Zawiyah, Zintan und Zlitan. Um die Unabhängigkeit seiner medizinischen Arbeit gewährleisten zu können, nimmt Ärzte ohne Grenzen nur private Spenden für die Hilfe in Libyen an und akzeptiert keinerlei Gelder von Regierungen, Organisationen oder militärisch-politischen Gruppen.