Jenseits der Cholera - Jenseits der Krise?

17.08.2009
"Alle erwarten, dass die Cholera wiederkommt" - Landeskoordinatorin Rian van de Braak über die Lage in Simbabwe

Themengebiete:

Cholera-Behandlungszentrum in Bindura
Joanna Stavropoulou/MSF
Simbabwe, 20.02.2009: Cholera-Behandlungszentrum von Ärzte ohne Grenzen in Bindura

Ärzte ohne Grenzen hat im Februar 2009 den Bericht "Jenseits der Cholera: Simbabwes Krise verschlimmert sich" veröffentlicht, um auf die humanitäre Krise in Simbabwe aufmerksam zu machen. Mittlerweile sind sechs Monate seit der Veröffentlichung des Berichts vergangen, und die Cholera hat sich gelegt. Sechs Monate sind vergangen, seit die Einheitsregierung eingeschworen wurde. Was hat sich geändert? Wir haben mit Rian van de Braak, Landeskoordinatorin von Ärzte ohne Grenzen in Simbabwe, über die aktuelle Situation gesprochen.

In dem Report von Ärzte ohne Grenzen heißt es, dass das Gesundheitssystem zusammengebrochen ist und Gesundheitszentren mangels Medikamenten, Material und Mitarbeitern schließen mussten. Wie ist die Situation heute?

Die Lage hat sich in den vergangenen Monaten Stück für Stück verbessert. Die großen Geldgeber haben eine kontinuierliche Finanzierung aufrechterhalten, die auch die geringen Löhne medizinischer Mitarbeiter einschließt, so dass das medizinische Personal wieder in die Krankenhäuser zurückgekehrt ist. Der Mangel an Medikamenten ist weiterhin ein Problem. Obwohl es in Harare wieder mehr Vorräte gibt, unterliegt der Transport in die Kliniken großen logistischen Beschränkungen. Darüber hinaus fordern viele Gesundheitseinrichtungen Gebühren. Viele Patienten können es sich nicht mehr leisten, medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Die Choleraepidemie, während der sich nahezu 100.000 Menschen infiziert haben, war sehr beunruhigend. Seit Mai gehen die Zahlen der Infizierten wieder zurück. Heißt das, dass die Bedrohung vorbei ist?

Nein, die Bedrohung ist definitiv nicht vorbei. Alle erwarten, dass die Cholera wiederkommt, spätestens mit der nächsten Regenzeit. Bisher hat man sich nicht ausreichend um die Hauptursache der Epidemie gekümmert. Das marode Wasserleitungssystem ist noch immer ein großes Problem. Hilfsorganisationen bohren in den am meisten von Cholera gefährdeten Gebieten Brunnen, um sauberes Trinkwasser gewährleisten zu können. Es ist ein Rennen gegen die Zeit, will man die Ursachen vor der nächsten Regenzeit beheben.Niemand weiß, wie schwer die nächste Epidemie sein wird. Wir können aber sofort reagieren. Das notwendige Material ist bereits im Land, und wir haben eine Liste der 250 nationalen Mitarbeiter, die uns während der vergangenen Epidemie unterstützt haben. Außerdem haben wir 50 abgelegenen Kliniken Ausstattungen für ein Cholerabehandlungszentrum gegeben und die Mitarbeiter darin ausgebildet, die ersten eintreffenden Cholerafälle sofort behandeln zu können. Darüber hinaus haben wir mehr als 11.000 Hygiene-Boxen verteilt und 40.000 Haushalte mit unserer Hygieneaufklärung erreicht.

Die sozialökonomische Krise verhindert, dass viele mit HIV/Aids-infizierte Menschen Zugang zu medizinischer Hilfe haben. Bei einer Infektionsrate von 15,3 Prozent ist das gravierend. Hat sich die Lage verändert?

Die Probleme sind noch sehr groß. In Simbabwe sterben jeden Tag 400 Menschen an Krankheiten, die in Verbindung mit Aids stehen. Um die Relation zu verdeutlichen: Während der neunmonatigen Choleraepidemie sind insgesamt etwa 4.000 Menschen gestorben. Bei Aids erreichen wir diese Zahlen innerhalb von zehn Tagen, wieder und wieder. Nur 20 Prozent derer, die in Simbabwe antiretrovirale Medikamente benötigen, bekommen diese auch. Die Finanzierung ist aufgrund politischer und administrativer Anforderungen derzeit gestoppt und damit auch die dringend benötigte Ausweitung des nationalen Programms für antiretrovirale Medikamente. Solange dieses Problem nicht gelöst ist, wird tausenden Patienten die dringend benötigte Behandlung vorenthalten.

Im Februar war der Höhepunkt der saisonal bedingten Nahrungsmittelknappheit erreicht und mehr als fünf Millionen Simbabwer hatten kaum etwas zu essen und waren auf internationale Hilfe angewiesen. Was erleben Sie heutzutage in den Projekten?

Die große Hungerkatastrophe ist vorbei. Während des Höhepunkts im Dezember und Januar haben wir jeden Tag 150 Kinder in unserem Ernährungsprogramm in Epworth versorgt. Im Moment behandeln wir zehn bis fünfzehn Kinder am Tag. Ein anderes Problem der Mangelernährung sehen wir in simbabwischen Gefängnissen. Während der Choleraepidemie hatten wir Zugang zu zwei Gefängnissen, in denen wir schwere Fälle von Mangelernährung gesehen haben. Wir haben mit einer Notintervention begonnen und versorgen die schwer mangelernährten Insassen mit Zusatznahrung. Außerdem verbessern wir die sanitäre Situation, um sauberes Trinkwasser zu gewährleisten. Die Intervention wurde gerade auf sechs weitere Gefängnisse in den Regionen Midlands und Mashonaland ausgeweitet.

Würden Sie sagen, dass sich die Arbeitsbedingungen für Sie unter der neuen Einheitsregierung verbessert haben?

In einigen Bereichen haben sich die Arbeitsbedingungen erheblich verbessert. Unsere Ansprechpartner in der Regierung suchen die Zusammenarbeit mit Nichtregierungsorganisationen (NGOs) vor Ort. Die Tatsache, dass das Justizministerium öffentlich zugegeben hat, dass es in den Gefängnissen Probleme und einen Mangel an Vorräten gibt und dass sie dankbar für unsere Unterstützung sind, kann als Fortschritt gesehen werden. Es ist aber abzuwarten, ob die noch bestehenden Hürden für NGOs abgebaut werden. Internationale Mitarbeiter müssen beispielsweise einen langen Prozess durchlaufen, um eine Arbeitserlaubnis zu erhalten. Eine Verbesserung wäre für unsere Arbeit sehr wichtig, aber auch um andere NGOs zu überzeugen, den Menschen in Simbabwe zu helfen.

Was muss Ihrer Meinung nach in Simbabwe getan werden, um die Situation zu verbessern? Was sind die anstehenden Herausforderungen?

Die Bevölkerung hat noch immer keinen angemessenen Zugang zu medizinischer Versorgung. Menschen sterben an Aids und der nächste Choleraausbruch steht vor der Tür. Die Gebergemeinschaft sollte die Bedingungen für humanitäre Unterstützung überprüfen und die Gegenden unterstützen, die am dringendsten Hilfe benötigen. Außerdem muss die Regierung die bürokratischen Hindernisse für internationale NGOs abbauen, um der simbabwischen Bevölkerung besser helfen zu können.