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Italien: „Diese Arbeit ist meine Chance, Menschen in Not zu helfen.“
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Ärzte ohne Grenzen hat ein neues Projekt in der italienischen Stadt Gorizia nahe der Grenze zu Slowenien gestartet. Dort schliefen Flüchtlinge an einem Fluss unter freiem Himmel, ohne jegliche Unterstützung. Unsere Teams leisten vor Ort medizinische Hilfe und stellen Unterkünfte zur Verfügung. Der 34-Jährige Jamal Afshar aus Afghanistan ist im Aufnahmezentrum als kultureller Vermittler und Logistiker tätig und erzählt im Interview seine Geschichte:
„Im Laufe der vergangenen Jahre war ich mit vielen Schwierigkeiten konfrontiert: Ich wurde zwei Mal nach Griechenland zurückgeführt, dort wiederum mehrmals ausgewiesen und im Gefängnis eingesperrt. Auch habe ich einige Zeit in Flüchtlingslagern in Frankreich, England und Griechenland verbracht. Daher verstehe ich die Ängste und Probleme der Menschen, die, so wie ich damals, in einer Situation mit ungewisser Zukunft sind.
Nach Italien kam ich erstmals 2005, doch ich war nur auf der Durchreise nach England. Jetzt, nachdem ich mehrmals dem Tod gegenüberstand und schwere Krisen durchleben musste, wurde mir internationaler Schutz zugesichert. Ich bin sehr froh darüber, bei Ärzte ohne Grenzen als kultureller Vermittler arbeiten zu können. So kann ich Flüchtlingen ein herzliches Willkommen und eine adäquate Unterkunft anbieten, die ein Dach über dem Kopf, Essen, medizinische Betreuung und Schutz brauchen.
Wie hast du angefangen, für Ärzte ohne Grenzen zu arbeiten?
Ich begann in Sizilien, wo ich gemeinsam mit einem Psychologen und kulturellen Vermittlern psychologische Erste Hilfe für Neuankömmlinge anbot. Ich sprach mit Überlebenden, die das Mittelmeer überquert hatten – Menschen, die von den schrecklichen Erlebnissen während dieser Reise extrem traumatisiert sind. Am Anfang war es nicht leicht, all den Schmerz der Leute auszuhalten, und manchmal konnte ich meine Tränen nicht zurückhalten. Ich war sehr starken Gefühlen ausgesetzt, doch ich war glücklich, Menschen helfen zu können, die Unterstützung und Informationen brauchen – so wie ich, als ich 2005 erstmals nach Italien kam und müde, zerbrechlich und verwirrt war wie sie. Heute ist meine Arbeit für mich eine echte Chance, Menschen in Not zu helfen.
Was hat dich während deiner Arbeit als kultureller Vermittler besonders berührt?
Vergangenen Sommer lernte ich in Palermo einen Nigerianer kennen, der auf der Reise seine Frau verloren hat. Er war am Leben, aber völlig bewegungsunfähig, und konnte alleine weder essen noch gehen. Ich stand ihm sehr nahe und wusste, dass er unter enormen Schmerzen litt. Doch ich sagte ihm, dass er stark sein müsse, und riet ihm, seine Trauer mit den anderen zu teilen. Er konnte nicht einmal den Körper seiner Ehefrau identifizieren; sein Herz war gebrochen.
Welche Fragen stellen dir die Menschen, was sind ihre Sorgen?
Die größte Sorge ist ihre Zukunft. Sie sind durcheinander, manche brauchen medizinische Hilfe, andere wollen wo anders hin, um ihre Familie wiederzufinden. Sie fragen um Rat, und du siehst die Sorgen in ihren Augen. Sie sind verwirrt, weil sie nicht wissen, wie das System hier funktioniert, und haben Angst.
Auch ich hatte während meiner Flucht Angst zu sterben. Ich fürchtete mich davor, zu ertrinken, als ich die Ägäis überquerte. Ich klemmte mich drei Stunden lang unter einen LKW, um von Frankreich nach England zu kommen, und hielt mich an einem Rohr zwischen den Hinterreifen fest, während mir der Schnee ins Gesicht wehte. Doch schlussendlich schaffte ich es nach Großbritannien.
Was sollte Europa deiner Meinung nach tun?
Auf der einen Seite gibt es ein Europa, das Menschen aufnehmen kann – doch auf der anderen Seite gibt es auch eine EU, die ihre Augen vor den Übergriffen an den Grenzen verschließt. Eine menschliche Behandlung und der Schutz der Würde der Menschen sollte Priorität haben, und Europa muss sich darum kümmern.
Ich wurde auch Opfer von Missbrauch und Gewalt. In der Türkei erniedrigte mich die Polizei, als ich sehr krank war. In Istanbul wurde ich 20 Tage lang im Haus eines Schmugglers eingesperrt. Als ich versuchte, wegzulaufen, schlugen und folterten sie mich, in dem sie mir Whisky durch die Nase einführten. In Griechenland lief ich davon, weil ich nicht identifiziert werden wollte – doch ich wurde verprügelt und dazu gezwungen, meine Fingerabdrücke abzugeben, obwohl ich nicht wollte. Dann wurde ich in einem Identifikations- und Ausweisungszentrum festgehalten. Mir wurde gesagt, dass ich das Land verlassen müsse.
Warum ist es für dich wichtig, hier im Zentrum zu sein?
Weil die Menschen so ein positives Beispiel für Integration vor sich haben. Das gibt ihnen Sicherheit und sie fühlen sich wohler. Ich bin ebenfalls durch verschiedene Länder gereist und es war sehr schwierig für mich, weil ich nie jemanden hatte, der sich bemühte, mir zu helfen, den Kontext zu verstehen. Niemand erklärte mir, was passierte, ich musste mich immer alleine durchschlagen, mit Hilfe meiner Freunde, die bereits hier waren. Es ist überlebenswichtig, jemanden zu haben, der deine Sprache spricht, deine Situation versteht, und dich im rechtlichen Prozess unterstützt. Hier zu sein ist für mich eine neue Herausforderung. Ich kann diese Menschen, die hier her kommen, begleiten und unterstützen. So wie sie habe auch ich trotz all der Hürden auf meinem Weg immer versucht, stark zu sein und mein Ziel zu erreichen.“