Griechenland: Migranten in Auffanglagern - Leben in der Warteschleife

17.06.2010
Ärzte ohne Grenzen ruft die griechische Regierung auf, menschenwürdige Bedingungen in den Auffanglagern zu gewährleisten und Alternativen zu überlegen.
Migrants in Detention

Athen, Wien 17. Juni 2010. Vor dem internationalen Weltflüchtlingstag am 20. Juni veröffentlicht die internationale medizinische Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen/Médecins Sans Frontières (MSF) einen Bericht, der die Auswirkungen von Arrest auf die mentale Gesundheit von Migranten und Asylwerbern in Auffanglagern in Griechenland dokumentiert. Ärzte ohne Grenzen ruft die griechischen Behörden dringend dazu auf, menschenwürdige Bedingungen für die internierten Migranten zu gewährleisten und Alternativen zu ihrer Festnahme zu überlegen.

„Der Bericht von Ärzte ohne Grenzen „Migrants in detention: Lives on hold“ dokumentiert die inakzeptablen Lebensbedingungen in den drei Auffanglagern Pagani auf Lesbos, Filakio in Evros und Venna in Rodopi, in denen Ärzte ohne Grenzen von August 2009 bis Ende Mai 2010 Migranten psychologisch betreute. Er zeigt auf, dass der Zustand des Eingesperrtseins vorhandene Symptome von Trauma und psychischen Störungen verstärkt und zu neuen beitragen kann“ erklärt Ionna Kotsioni, stellvertretende Einsatzleiterin des Programms von Ärzte ohne Grenzen für Migranten in Griechenland. Die meisten Migranten, die von Ärzte ohne Grenzen betreut wurden, beschrieben ihren Arrest als schmerzhaft und unmenschlich. Der Arrest war der am häufigsten genannte Grund für das Auftreten von Stresssymptomen und Angststörungen.

Die meisten der Migranten sind aus kriegsgeschüttelten oder instabilen Ländern wie Afghanistan oder dem Irak auf der Suche nach Sicherheit geflohen. Sie haben eine lange und gefährliche Reise nach Europa hinter sich und wurden bei der Ankunft festgenommen und dann unter erniedrigenden Bedingungen festgehalten. Dies löst Angst und Ängstlichkeit aus. Dem Bericht zufolge hat beinahe ein Drittel der Patienten von Ärzte ohne Grenzen angegeben, dass sie in ihrem Heimatland selbst Gewalt erlebt oder miterlebt haben oder dass ihr Leben bedroht war. Die Psychologen von Ärzte ohne Grenzen haben bei 9,5 Prozent der Patienten Symptome von post-traumatischem Stress festgestellt. In Einzelsitzungen wiesen 39 Prozent der Patienten Anzeichen von Angststörungen auf und 31 Prozent Anzeichen von Depressionen.

Der Bericht zeigt ebenfalls auf, dass die Bedingungen in den Auffanglagern unterhalb nationaler und internationaler Standards liegen: Sehr oft kommen ungeeignete Gebäude zum Einsatz, und manche Lagern waren ständig überfüllt. Die hygienischen Bedingungen sind meistens katastrophal. Die festgehaltenen Migranten dürfen die Zellen nicht regelmäßig verlassen, und Familienmitglieder werden voneinander getrennt. Es gibt keinerlei Einrichtungen für verletzliche Gruppen, wie schwangere Frauen, Minderjährige und Menschen mit Behinderung. Die Migranten und Asylwerber erhalten keine angemessenen Informationen über ihren rechtlichen Status und die Auffanglager, und es gibt keine Dolmetscher.

Die Migranten beschwerten sich gegenüber den Teams von Ärzte ohne Grenzen außerdem immer wieder darüber, dass sie nur eine unzureichende medizinische Versorgung erhielten und Schwierigkeiten hatten, mit den Ärzten zu kommunizieren. Die Festgehaltenen aus allen drei Auffanglagern erklärten mehrmals, dass sie „wie Tiere“ behandelt wurden. „Wie kann ich hier leben? Dieser Platz ist was für Tiere. Ich schaue in die Augen der anderen und ich sehe nur den Tod“ sagte ein Migrant zu Ärzte ohne Grenzen. Während des Einsatzes in den drei Auffanglagern hat Ärzte ohne Grenzen die negativen Auswirkungen des Arrests auf die mentale Gesundheit der Migranten und Asylwerber beobachtet und gegenüber den Behörden seine Bedenken geäußert und sie aufgefordert, die Lebensbedingungen zu verbessern und nach Alternativen zu suchen.

Ärzte ohne Grenzen ruft die griechischen Behörden dringend dazu auf, die Auswirkungen des Arrests auf die Gesundheit der Migranten und Asylwerber abzuwägen und über Alternativen nachzudenken - vor allem für verletzliche Gruppen. Die Pläne der griechischen Regierung, Aufnahmezentren für neu ankommende Migranten zu errichten, sind ein erster positiver Schritt und sollten umgesetzt werden. Die Regierung sollte gewährleisten, dass punkto Lebensbedingungen und Einrichtungen in diesen Zentren internationale Standards eingehalten werden und sich besonders darum kümmern, eine angemessene medizinische und psychologische Betreuung zu gewährleisten. Die festgehaltenen Migranten und Asylwerber sollten menschenwürdig behandelt werden und jene, die sich um Asyl bewerben möchten, sollten die Möglichkeit erhalten, dies zu tun.

Ärzte ohne Grenzen hat seit August 2009 psychologische Hilfe für Migranten und Asylwerber in drei Auffanglagern - in Pagani auf Lesbos, Filakio in Evros und Venna in Rodopi – angeboten. Die Teams, bestehend aus Psychologen, Sozialarbeitern und Dolmetschern, besuchten die Auffanglager regelmäßig. Die psychologische Betreuung erfolgte in Einzelsitzungen und Gruppentherapie. Die Psychologen von Ärzte ohne Grenzen haben 305 Patienten in 381 Erst – und Folgegesprächen betreut. Außerdem wurden 79 Gruppensitzungen und 258 spielerische Therapiesitzungen abgehalten. Ärzte ohne Grenzen hat seine Arbeit in den Auffanglagern Ende Mai 2010 beendet.