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Flucht vor Willkür und Gewalt: Psychosoziale Hilfe für Geflüchtete aus Eritrea
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Gefangen gehalten in einem Loch im Boden und brutal misshandelt: Der 17-Jährige Ephraim hat auf seiner Flucht aus Eritrea Traumatisches erlebt. Rund 2.300 Menschen fliehen jeden Monat aus Eritrea in Flüchtlingslager in Nordäthiopien. Die Misshandlungen und Gewalt, die sie erlebt haben, hinterlassen häufig tiefe Spuren. In den Flüchtlingslagern Hitsas und Shimelba helfen wir mit verschiedenen psychosozialen Angeboten, das Erlebte zu verarbeiten. Für viele der Geflüchteten ist Äthiopien jedoch nicht der Endpunkt ihrer Flucht. Unter anderem aufgrund der schlechten Lebensbedingungen in den Lagern machen sie sich auf den Weg Richtung Libyen und der zentralen Mittelmeerroute. Einige von ihnen kommen nach Äthiopien zurück – traumatisierter als zuvor.
Ephraim sitzt in einem der kleinen Beratungsräume unseres Gesundheitszentrums im Flüchtlingslager Hitsats im Norden Äthiopiens. Ein tropisches Gewitter tobt und das Geräusch von Wasser, das auf das Metalldach des Gebäudes prasselt, ist ohrenbetäubend. Obwohl sie durch den Lärm schwer zu hören ist, ist Ephraims Stimme ruhig und seine Augen zeigen seine Klarheit und Entschlossenheit. Seine Geschichte im Detail erzählen zu können und gleichzeitig emotional stabil zu bleiben, ist ein wichtiger Schritt in seinem therapeutischen Prozess. „Ich war in der 9. Klasse und wusste, dass ich bald Militärdienst leisten müsste. Für Manche hört er nie auf und während man beim Militär bist, zahlen sie einem fast nichts", sagt er. „Für mich war klar, dass ich keine Zukunft hatte, keine Zukunft, in der ich frei wählen könnte, was ich tue und wer ich bin, und in der ich für meine Familie sorgen könnte. Also habe ich beschlossen zu gehen, wie viele andere Eritreer ", fügt er hinzu. Jetzt, als er seine Geschichte erzählt, ist er mit seinen 17 Jahren ein junger Erwachsener, aber als er Eritrea zum ersten Mal verließ, war er noch ein 14-jähriges Kind.
Militärdienst auf unbestimmte Zeit, Gewalt und Einschüchterungen
Jeden Monat fliehen ungefähr 5.000 Menschen aus Eritrea, viele von ihnen sind Teenager wie Ephraim. Der obligatorische Militärdienst auf unbestimmte Zeit, der allen Eritreern vom repressiven Regime auferlegt wird, ist ein wichtiger Grund für die Flucht. Diejenigen, die bleiben, zahlen einen hohen Preis: Willkürliche Inhaftierung, Gewalt und Einschüchterung werden gegen all jene angewandt, die sich nicht systemkonform verhalten.
Auch Ephraim hat in Eritrea und während seiner Suche nach einem besseren Leben Missbrauch und Inhaftierung erlebt. An einem Punkt auf seiner Flucht wurde er im Sudan gefangen genommen, als er versuchte, Libyen zu erreichen. Die 13-tägige Reise durch die Wüste mit nur wenig Wasser und Nahrung hatte ihn fast umgebracht. Dennoch wurde er geschlagen und mehrere Wochen eingesperrt, bevor er nach Eritrea zurückgeschickt wurde. Auch dort wurde er wieder inhaftiert. „Das Gefängnis in Eritrea war ein Loch im Boden, ohne Fenster und ohne Licht. Wir waren mehr als 80 Leute in einem Raum. Wir hatten nicht genug Platz, um uns hinzulegen, also verbrachten wir jede Nacht im Sitzen und schliefen abwechselnd", sagt er.
Seiner Mutter gelang es, ihn freizubekommen und Ephraim versuchte erneut, das Land zu verlassen. „Die Soldaten haben mich an der Grenze erwischt, mich brutal geschlagen und ins Gefängnis gebracht. Die Verletzungen durch die Schläge verschlimmerten sich. Ich fing an zu husten und konnte nicht schlafen, weil der Boden zu hart und schmerzhaft war. Ich bekam keine medizinische Hilfe, bis mein Zustand bereits sehr ernst war. Dann wurde ich ins Krankenhaus geschickt. Ich wurde behandelt und ins Gefängnis zurückgeschickt", erzählt er. Bei seinem dritten Versuch gelang es Ephraim schließlich, die Flüchtlingslager im Norden Äthiopiens zu erreichen.
Verheerende Auswirkungen für die psychische Gesundheit
Trotz der extremen Herausforderungen ist Ephraims Geschichte keine Ausnahme. Viele Eritreer haben ähnliche Martyrien durchgemacht. Derartige Erfahrungen führen mit großer Wahrscheinlichkeit zu körperlichen Problemen. Die Folgen für die psychische Gesundheit sind noch viel komplexer zu identifizieren und zu behandeln, und die Auswirkungen können verheerend sein. Um den Geflüchteten aus Eritrea eine umfassende Gesundheitsversorgung zu bieten, haben wir 2015 ein Projekt zur Förderung der psychosozialen Gesundheit für die Bevölkerung in den Flüchtlingslagern Hitsats und Shimelba gestartet. Rund 2.300 Menschen erreichen monatlich die Flüchtlingslager im Norden Äthiopiens. Sie sind eines der ersten Ziele von Eritreern, die ihr Land verlassen.
Robel Araya, psychosozialer Berater von Ärzte ohne Grenzen im Lager Hitsats, kennt die Situation der eritreischen Flüchtlinge sehr gut. „Die meisten Menschen, die wir in den Lagern sehen, haben traumatisierende Erfahrungen gemacht. Es ist gefährlich, Eritrea zu verlassen, und einige von ihnen versuchten es mehrmals, bevor es ihnen gelang. Viele entwickeln Depressionen, Angstzustände und posttraumatische Belastungsstörungen aufgrund von Folter, Gewalt und Missbrauch. Unsere psychosozialen Dienste können ihnen helfen, wieder auf die Beine zu kommen ", sagt er.
Zu erkennen, dass es anderen Menschen ähnlich geht, kann heilsam sein
Wir bieten vor Ort Beratung, stationäre und ambulante psychosoziale Versorgung und eine Vielzahl therapeutischer Aktivitäten an. Dazu gehören auch therapeutische Diskussionen und psychosoziale Bildungsangebote, in deren Rahmen Patientinnen und Patienten ihre Erfahrungen teilen können, detaillierte Informationen zu ihrer Situation erhalten und lernen, wie sie mit dem Trauma umgehen können. Zu erkennen, dass andere Menschen ähnliche Probleme haben, hilft ihnen, sich weniger isoliert zu fühlen.
Eine der größten Herausforderungen für unsere Arbeit vor Ort besteht darin, die Menschen zu überzeugen, Unterstützung zu suchen. Die Angst davor, von der Gemeinschaft als „schwach" oder „verrückt" gesehen zu werden, hindert viele daran, die Angebote wahrzunehmen. Mithilfe von lokalen Gesundheitshelfern können wir eine kulturell angemessene Sensibilisierung, Aufklärung und Entstigmatisierung psychosozialer Probleme ermöglichen.
Da sich die Bevölkerung in den Lagern häufig ändert, müssen wir permanent „Outreach“-Aktivitäten durchführen, um die Menschen zu erreichen. Schätzungen zufolge machen sich rund 80 Prozent der eritreischen Flüchtlinge innerhalb von zwölf Monaten nach ihrer Ankunft in den äthiopischen Flüchtlingslagern auf den Weg durch den Sudan in Richtung Libyen und der zentralen Mittelmeerroute. Die harten Lebensbedingungen in den Lagern, der Mangel an Zukunftsperspektiven, der Wunsch zu Familienmitgliedern in anderen Ländern zu gelangen und das junge Durchschnittsalter scheinen hierzu beizutragen.
„Die wenigen, die auf lange Sicht bleiben, tun dies, weil sie nicht das Geld für die weitere Flucht haben. Wir sehen auch Menschen, die versucht haben zu gehen, aber im Sudan oder in Libyen gefangen genommen wurden, wo sie schreckliche Dinge gesehen und erlebt haben, und noch traumatisierter als zuvor nach Äthiopien zurückgeschickt wurden ", erzählt Robel Araya.
Im Flüchtlingslager Hitsats leben bis zu 10.000 Menschen, in Shimelba bis zu 6.000 Menschen. In den beiden Camps bietet Ärzte ohne Grenzen rund 2.800 Einzelberatungen und 3.600 psychosoziale Beratungen pro Jahr an. Zusätzlich zu den psychosozialen Angeboten leistet Ärzte ohne Grenzen hier medizinische Hilfe. Dazu zählt auch die stationäre Behandlung im Flüchtlingslager Hitsats in Zusammenarbeit mit der äthiopischen Verwaltung für Flüchtlings- und Rückkehrangelegenheiten (ARRA) und die Verlegung von Notfallpatienten in das nahegelegene Shire-Krankenhaus. Außerdem leisten wir Aufklärungsarbeit zu Schwangerschaft und Familienplanung und HIV-Prävention.