Erdbeben in Chile: “Das Meer hat die Häuser buchstäblich verschluckt.”

12.03.2010
Teams von Ärzte ohne Grenzen unterstützen die traumatisierte Bevölkerung

Themengebiet:

Chile, März 2010
Pierre Garrigou /MSF
Chile, 02.03.2010: Durch das Erdbeben zerstörte Straße nahe der chilenischen Küste.

Teams von Ärzte ohne Grenzen/Médecins Sans Frontières (MSF) in Chile haben die Verteilung von medizinischem Material und Hilfsmaterial wie Hygieneartikel, Plastikplanen für Notunterkünfte und Decken in den Regionen Maule und Bío Bío verstärkt. Die beiden Regionen waren schwer von dem Erdbeben getroffen worden, das Chile vor zwölf Tagen erschüttert hat. Außerdem unterstützt ein Team von Psychologen und Psychologinnen die lokalen Behörden durch Schulung von Einsatzkräften, die der betroffenen Bevölkerung psychologische Hilfe leisten werden. 

Der Argentinier Pierre Garrigou, Logistiker bei Ärzte ohne Grenzen, beschreibt die Lage in den ersten Tagen nach dem Beben: „Im Landesinneren, in den Gebieten fernab der Küste, waren viele Gebäude eingestürzt, es gab viel Schutt. Aber an der Küste kam zum Beben auch noch der Tsunami. Dadurch wurde wirklich alles zerstört. Wenn dein Haus bei einem Erdbeben einstürzt, kannst du vielleicht immer noch Dinge aus dem Schutt retten; aber in den Küstengebieten wurden die Häuser buchstäblich vom Meer geschluckt.” Viele Menschen haben ihr Hab und Gut verloren. Viele sind obdachlos geworden und müssen in schlechten behelfsmäßigen Unterkünften hausen. Ärzte ohne Grenzen hat sich daher am Anfang darauf konzentriert, die Lebensbedingungen der Menschen durch die Verteilung von Plastikplanen, Seilen, Decken, Plastikkanistern und Hygieneartikel zu verbessern.

Nach dem Erdbeben “fiel das Dorf in völlige Verzweiflung”, sagt Mariano Pérez, ein Tischlermeister in Licantén, in den Hügeln im Norden von Talca. „Es gab weder Wasser noch Strom und im Morgengrauen sah ich, dass viele Häuser eingestürzt waren.“ Seine eigene Decke war eingestürzt und hatte seinen Sohn in seinem Zimmer eingeschlossen. Perez schaffte es, ihn zu befreien und ist dankbar, dass nur sein Haus beschädigt wurde und seine Familie unversehrt geblieben ist. Er hilft mit, die einlangenden Spenden entgegenzunehmen und in einem Lager, das in der Sporthalle der Stadt eingerichtet wurde, zu verteilen. „Spenden aus anderen Teilen von Chile und aus dem Ausland zeigen uns, dass wir nicht allein sind, dass es anderswo Menschen gibt, die Anteil nehmen”, sagt er.

Viele Traumatisierte

Als Folge der Verluste, die sie durch das Erdbeben erlitten haben, sowie der mächtigen Nachbeben, sind viele Menschen schwer traumatisiert. Jedes weitere Beben verstärkt die Spannung und die Angst in der Bevölkerung. „Einmal gab es ei Nachbeben, als wir gerade bei einer Frau mit ihren vier Kindern waren“, erzählt Lina María Peña Peñaranda, eine kolumbianische Psychologin von Ärzte ohne Grenzen. „Sie begann zu weinen und ich versuchte, sie zu beruhigen. Sie wollte uns nicht gehen lassen. Ihre Beine zitterten stark und sie konnte nicht aufhören zu weinen. Wir mussten sehr lang bei ihr bleiben, bis sie sich beruhigte.“

Kinder sind besonders von der Situation betroffen. Bernardita Soto, eine Frau aus Licantén, berichtet, dass ihr dreijähriger Sohn jede Nacht erbricht und sie selbst kaum schlafen kann. Die Kindergärtnerin Macarena Huerta erzählt, dass auf einer eingezäunten Wiese eine Krippe für die verängstigten Kinder eingerichtet wurde. Die Situation sei extrem anstrengend für die Kinder, betont sie. Sie weinten bei jedem neuerlichen Beben. Trotzdem seien die Kleinen sehr folgsam und wüssten, dass sie sich sobald die Erde bebt, in die Mitte der Wiese stellen müssen.

Psychologen von Ärzte ohne Grenzen in Maule unterstützen das Gesundheitsministerium durch Zusammenarbeit bei der Schulung von 128 Freiwilligen - Psychologen, Sozialarbeiter und Medizinstudenten – die entlang der Küste eingesetzt werden, um den Betroffenen zu helfen ein Gefühl der Normalität wiederzuerlangen. Sie haben auch Workshops zur Trauerbewältigung und zur Arbeit mit Kindern als Training für 45 Koordinatoren der Freiwilligen-Teams mitgeholfen.

Verteilung der Hilfsgüter

In den Einsatzgebieten von Talca and Concepción arbeiten Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen von Ärzte ohne Grenzen jeden Tag gemeinsam mit den städtischen und den staatlichen Behörden daran, die dringendsten Bedürfnisse herauszufinden. Dann teilen sich die Logistiker, Mediziner und Psychologen von Ärzte ohne Grenzen in Teams auf, laden die Hilfsgüter auf Lastwagen und fahren in die entlegenen Gebiete, wo Hilfe gebraucht wird. In Gebieten, die der Küste näher sind, verteilen die Mitarbeiter der Organisation medizinische Materialien an die Bevölkerung und leisten gleichzeitig psychologische Unterstützung. 

Ärzte ohne Grenzen hat medizinische Materialien an mehr als zehn Krankenhäuser und  Gesundheitsposten ausgegeben. In der vergangenen Woche hat Ärzte ohne Grenzen 2.000 Packungen mit Hygieneartikel in Dörfern mit großem Bedarf verteilt, 3.000 weitere Packungen sind für eine Verteilung in der kommenden Woche vorgesehen. Sie beinhalten Gegenstände wie Kübel, Handtücher, Zahnpasta, Nadeln und Zwirn. Über 26.500 Menschen werden diese Verteilungen zugute kommen.