"Das Einzige, was mir geblieben ist, sind die Kleider, die ich trage."

16.01.2019
Fast zwei Millionen Menschen wurden infolge des andauernden Konfliktes im Nordosten Nigerias vertrieben. Viele von ihnen sind dringend auf humanitäre Hilfe angewiesen.
Snapshots from Bama
Natacha Buhler/MSF
Bama, Nigeria, 15.11.2018: Millionen Menschen im Nordosten Nigerias brauchen dringend humanitäre Hilfe so wie die 80-jährige Maryam Sofo, die in einem Vertriebenenlager in Bama lebt.

Fast zwei Millionen Menschen wurden infolge des andauernden Konfliktes im Nordosten Nigerias vertrieben. Viele von ihnen sind dringend auf humanitäre Hilfe angewiesen. Doch es fehlt an Lebensmitteln, Wasser, Unterkünften und medizinischer Versorgung. Die Gewalt zwingt täglich weitere Menschen zur Flucht. Trotz der akuten Notlage gibt es kaum Aufmerksamkeit für die Krise.

Die 80-jährige Witwe Maryam Sofo lebt in einem Vertriebenenlager in Bama. „Das Leben hier ist zum Verzweifeln“, sagt Maryam. „Ich bin vor 20 Tagen hier im Camp angekommen, kurz nach der monatlichen Lebensmittel- und Hilfsgüterverteilung. Seit ich hier bin, habe ich noch nichts bekommen. Ich habe keine Lebensmittel, keine Decke, keinen Wasserkanister, keine Schlafmatte. Die Kleider, die ich trage, sind das Einzige, was mir geblieben ist.“

Notlage bekommt kaum Aufmerksamkeit

Den meisten Vertriebenen geht es nach ihrer Ankunft in einem der Camps der Region ähnlich wie Maryam. Sie haben ihre Lebensgrundlage und oft auch Familienmitglieder verloren. Viele Menschen sind aufgrund gewalttätiger Übergriffen oft schwer traumatisiert und benötigen umfassenden Schutz und psychosoziale Unterstützung. Zudem gibt es nur wenig Hoffnung auf eine bessere Perspektive. „Viele Menschen leben seit Jahren in Camps“, sagt Luis Eguiluz, Landeskoordinator von Ärzte ohne Grenzen in Nigeria. „Außerhalb der Camps können sie sich nur eingeschränkt bewegen und daher nicht für sich selbst sorgen. Da der Konflikt noch immer andauert, haben sie wenig Aussichten, wieder nach Hause zurückkehren zu können.“

Die Notlage ist in Teilen der Region mindestens so besorgniserregend wie vor ein paar Jahren, als die Situation der Bevölkerung von Borno an die Öffentlichkeit gelangte. „Die humanitäre Hilfe in Borno darf im Moment keinesfalls reduziert werden“, sagt Eguiluz.

Millionen Menschen brauchen Hilfe – viele sind nicht erreichbar

Insgesamt benötigen 7,7 Millionen Menschen in den nordöstlichen Bundesstaaten Borno, Adamawa und Yobe humanitäre Hilfe – doch viele von ihnen bekommen die dringend benötigte Unterstützung nicht. „Es mangelt an medizinischer Versorgung und Schutz, an Wasser und Unterkünften“, erklärt Eguiluz. „In der Stadt Gwoza wurde die Lebensmittelverteilung reduziert, in Pulka ist die Wasserversorgung zu knapp, und in einem Transitcamp warten 4.000 Menschen darauf, dass ihnen Unterkünfte zugeteilt werden.“

Die desolaten Lebensbedingungen in den Camps und die fehlenden Hilfeleistungen haben bereits zu einer Reihe von Gesundheitsnotständen geführt, unter anderem zu einem Cholera-Ausbruch. Wir haben deshalb unsere Hilfe ausgeweitet. 2018 behandelten unsere Teams mehr als 8.000 Cholerapatienten und -patientinnen und impften 332.700 Menschen gegen die Krankheit.

Prekäre Sicherheitslage verschärft die Situation

Doch die prekäre Sicherheitslage erschwert unsere Arbeit und die anderer Hilfsorganisationen: Viele Gebiete können wir schlichtweg nicht erreichen. Militäroperationen sind in vielen Regionen des Bundesstaates Borno an der Tagesordnung und die Verbindungsstraßen zwischen den Städten sowie in den Stadtzentren sind regelmäßig Schauplätze von Überfällen. In diesen unzugänglichen Regionen leben rund 800.000 Menschen (Quelle: Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten – UNOCHA). Verlässliche Angaben zu ihren Lebensbedingungen oder ihrem humanitären Bedarf gibt es nicht. Der Zustand vieler Menschen, die aus diesen Regionen in uns zugänglichen Vertriebenenlagern ankommen, ist jedoch sehr besorgniserregend.

Mangelernährung bei Kindern ist alarmierend

Im September 2018 haben wir eine epidemiologische Studie durchgeführt, die gezeigt hat, dass 8,2 Prozent der Kinder, die ab Mai 2018 in der Stadt Bama ankamen, an schwerer akuter Mangelernährung und 20,4 Prozent an akuter Mangelernährung leiden – beide Werte liegen weit über dem Notfallgrenzwert. Diese alarmierenden Zahlen spiegeln die katastrophalen Lebensbedingungen und den akuten Hilfsbedarf in den unsicheren Herkunftsregionen wieder.

Ärzte ohne Grenzen leistet seit 2014 lebensrettende medizinische Hilfe im Nordosten Nigerias (Bundesstaaten Borno und Yobe). Zurzeit betreibt Ärzte ohne Grenzen Projekte in Maiduguri, Damaturu, Bama, Ngala, Rann, Pulka und Gwoza. Notfallteams sind im Einsatz gegen Krankheitsausbrüche und andere humanitäre Notlagen. Von Januar bis Oktober 2018 führte Ärzte ohne Grenzen mehr als 98.000 ambulante Konsultationen durch und nahm 32.000 Patienten stationär auf. Ärzte ohne Grenzen kümmerte sich um die ambulante Behandlung von 6.000 schwer mangelernährten Kindern sowie die stationäre Behandlung von 6.300 schwer mangelernährten Kindern.