Corona: Das sollten Schwangere jetzt wissen 

31.03.2020
Gynäkologin Verena Seidler-Leirer im Gespräch zu COVID-19 und Schwangerschaft
Gynäkologin Verena Seidler-Leirer im Gespräch zu COVID-19 und Schwangerschaft
Verena Seidler
Gynäkologin Verena Seidler.

Überall auf der Welt haben Eltern vor allem eines im Sinn: Das Wohlergehen ihres Kindes. Das ist unabhängig davon, wo Mama und Papa leben – denn Elternglück kennt keine Grenzen.  

Dass Mütter ihre Kinder in einer sicheren Umgebung auf die Welt bringen können, dafür kämpfen die Einsatzkräfte von Ärzte ohne Grenzen rund um den Globus. Verena Seidler-Leirer (Bild) stand dabei in der ersten Reihe. Die Gynäkologin war zwei Mal auf Einsatz – einmal in Pakistan, einmal in der Demokratischen Republik Kongo. Heute ist sie Teil des Vorstandes von Ärzte ohne Grenzen Österreich und betreibt im Burgenland eine Praxis. Aktuell hilft sie außerdem in dem Spital, in dem sie früher tätig war. Der Grund: Das Coronavirus.  

Isolation, Ausgangsbeschränkungen, Sicherheitsmaßnahmen in Spitälern und Ordinationen: Die momentane Ausnahmesituation wirft für Schwangere einige dringende Fragen auf. Immerhin trägt man ja nicht mehr nur für sich selbst Verantwortung, sondern auch für das Kind. Die häufigsten Fragen haben wir Verena Seidler-Leirer gestellt. Im Interview spricht die Gynäkologin über das Risiko für Schwangere, notwendige Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen und Beschränkungen auf Geburtenstationen.

Verena, in Zeiten von Corona und COVID-19 ist das die wichtigste Frage: Wie geht es dir?  

Es geht mir wahrscheinlich nicht viel anders als allen anderen Menschen in Österreich. Es ist eine sehr schwierige Zeit und eine Art zu leben, die wir nicht gekannt haben. Für das Gesundheitspersonal ist es schwierig, weil man nicht weiß, wie es weitergeht. Es gibt offenbar Überlegungen, uns auch anderweitig einzusetzen, also nicht in unseren Spezialgebieten. Der Grund ist, dass immer mehr Ärzt:innen in Quarantäne sind und dadurch ausfallen. Aktuell wird eine Diskussion über die Schutzmaßnahmen für Gesundheitspersonal geführt. Die sind derzeit nicht ausreichend. Wir kämpfen noch immer darum, Schutzmasken und Schutzbrillen zu bekommen. Das erzeugt Ungewissheit, vor allem, wenn man eine Familie zuhause hat. Natürlich geht man arbeiten – man ist ja Ärztin, das ist der Job, eine Berufung. Aber trotzdem denkt man sich: Naja, wenn ich das jetzt mit nachhause nehme zu meinem Mann und zu meinen Kindern? Das wirft schon viele Gedanken und Sorgen auf.   

Ich bin zwar kein Arzt, aber mir geht es ähnlich. Ich teile mir mein Homeoffice mit meiner Lebensgefährtin. Sie ist in der 17. Woche schwanger. Gehört sie zur Risikogruppe?  

Aufgrund der physiologischen Veränderungen, die ein Körper während der Schwangerschaft durchmacht, ist es so, dass Atemwegsinfektionen allgemein schwerer verlaufen können. Die aktuelle Datenlage gibt aber keinen Hinweis darauf, dass Schwangere einen schwereren Verlauf von COVID-19 haben als die Bevölkerung allgemein. Die Mehrheit der Schwangeren hat leichte bis mittelschwere Symptome. Schwere Verläufe sind bis jetzt selten und betreffen hauptsächlich Frauen, die chronische Krankheiten mitbringen.  

"COVID-19 ist eine junge Krankheit, das heißt, es gibt wenig verlässliche Daten."

Welche Auswirkungen hat das Coronavirus auf das ungeborene Baby im Falle einer Infektion der Mutter? 

COVID-19 ist eine junge Krankheit, das heißt, es gibt wenig verlässliche Daten. Aber es weist bis jetzt alles darauf hin, dass es keine Übertragung des Virus über die Plazenta von Mutter zu Kind gibt – also keine sogenannte „vertikale Transmission“. Daher ist es unwahrscheinlich, dass es bei Föten beispielsweise zu Fehlbildungen kommen kann. Man muss aber ehrlicherweise sagen, dass wir aufgrund der schlechten Datenlage kaum Aussagen treffen können, die das erste oder zweite Schwangerschaftsdrittel betreffen. Die Daten, die wir haben, basieren auf 32 Fällen in China – und diese Frauen waren alle im dritten Schwangerschaftsdrittel. Was man aber schon bedenken muss ist, dass sehr hohes Fieber – also über 38 Grad – über eine längere Zeit im ersten Trimester zu einer Erhöhung der Frühgeburtlichkeit und der Fehlbildungsraten führen kann. Aber Vorsicht: Das hängt nicht direkt mit COVID-19 zusammen, das betrifft jegliches Fieber.  

Wie sollte sich eine Schwangere mit COVID-19-Symptomen verhalten? 

Zu den allgemeinen Symptomen von COVID-19 zählen Fieber, Gliederschmerzen Atemwegsbeschwerden wie Husten, aber auch Hals- und Kopfschmerzen oder der Verlust des Geruchs- und Geschmacksinns. Wenn eine Schwangere Symptome hat, dann soll sie genau so vorgehen wie alle anderen auch: Bitte bei Symptomen 1450 anrufen und nicht zum/-r Hausärzt:in oder zum/-r Gynäkologen/-in gehen! Den/Die Fachärzt:in sollte man telefonisch informieren, dass man in Selbstisolation ist und Symptome hat. Wenn es aus ärztlicher Sicht dringend notwendig ist, bestimmte Untersuchungen durchzuführen, dann müssen dafür bestimmte Vorkehrungen getroffen werden, um die Ausbreitung des Virus zu verhindern. Daher sollte man bei Gynäkolog:innen nicht einfach vor der Tür stehen. Die meisten Untersuchungen können aber problemlos 14 Tage verschoben werden.  

 

Verena Seidler bei ihrem Einsatz in der DR Kongo im Jahr 2014
Privat
Verena Seidler bei ihrem Einsatz in der DR Kongo im Jahr 2014.

Was können meine Partnerin und ich tun, um uns und unser Kind zu schützen?   

Ihr solltet euch außerhalb eurer vier Wände an die Verhaltensregeln halten, die von Ärzt:innen und dem Gesundheitsministerium vorgegeben sind: Distanz, Händewaschen, in die Armbeuge husten. Wenn ihr euch daran haltet, dann werdet ihr selbst sehr wahrscheinlich nicht erkranken und dadurch auch niemand anderen anstecken. Das ist auch der Sinn dieser Regeln und das gilt unabhängig davon, ob jemand schwanger ist oder nicht. Prinzipiell sollte sich jeder an diese Regeln halten. Dadurch wird die Ausbreitung der Krankheit verhindert, oder zumindest vermindert.   

Was ist zu beachten, wenn die Geburt unmittelbar bevorsteht? 

Wenn ich verunsichert bin als Schwangere und knapp vor dem Entbindungstermin stehe, würde ich Kontakt mit dem Spital aufnehmen, in dem ich entbinden möchte. Man versucht generell, ambulante Behandlungen und Termine so kurz wie möglich zu halten und wirklich nur die allernotwendigsten durchzuführen. Manche Themen – also zum Beispiel, wenn Frauen Blutdruck oder Blutzucker messen müssen – können mit betreuenden Ärzt:innen auch virtuell besprochen werden.  

"Ist das jetzt eine Risiko-Patientin, die zu uns in die Ambulanz kommt?" 

Was, wenn aber plötzlich die Wehen einsetzen?  

Wenn man Beschwerden hat oder sogar einen Blasensprung oder Wehen, dann bitten die Spitäler, dass man auf jeden Fall vorher anruft, bevor man ins Spital fährt. Nicht, damit das Krankenhaus dann sagen kann: Nein, Sie dürfen nicht kommen. Beim Telefonat kann aber eine so genannte Anamnese erhoben werden, es wird also geklärt: Gibt es Symptome? War die Mutter in einem Risikogebiet? Ist das jetzt eine Risiko-Patientin, die zu uns in die Ambulanz kommt? Müssen wir uns dementsprechend vorbereiten? Patientinnen, die an COVID-19 erkrankt sind, werden in einem isolierten Kreißsaal mit Schutzausrüstung entbunden. Das dient dem Schutz aller. Daher die Bitte sich zu melden, bevor man ins Krankenhaus fährt.  

Welche Einschränkungen gelten aktuell in Frauenarzt-Praxen und Geburtenstationen? 

Also erstens wie erwähnt, dass man immer vorher anrufen sollte, bevor man vorbeikommt. Viele Ordinationen haben auf Telefondienst umgestellt. Am Telefon wird mit den Frauen besprochen, ob zum Beispiel eine Mutter-Kind-Pass-Untersuchung dringend notwendig ist oder verschoben werden kann. Wenn es medizinisch vertretbar ist, werden die Termine zurzeit verlegt. Wir wollen dadurch vor allem die Frauen, aber auch uns selbst schützen. Deswegen werden Termine auch größtenteils so vergeben, dass sich die Patientinnen nicht in der Ordination begegnen. In meiner Praxis mache ich das zum Beispiel auch so, zudem wird bei jedem Fieber gemessen, bevor die Ordination betreten werden darf. Eine Risikoevaluierung und die Aufklärung über die Untersuchung erfolgt über das Telefon.  

Wie sieht es mit den Untersuchungen aus, die laut Mutter-Kind-Pass zwingend vorgeschrieben sind? Finden die ganz normal statt?  

Die gesetzlichen Bestimmungen dazu haben sich geändert und wurden an die aktuelle Situation angepasst. Wenn die Untersuchung aufgrund der aktuellen Situation nicht zumutbar ist und verschoben werden muss, wird das Kindergeld nicht gekürzt. Das ist sehr wichtig. Wenn die Beschränkungen aber wegfallen, dann müssen ausstehende Untersuchungen umgehend nachgeholt werden. Sollte man aber keine Untersuchungen mehr brauchen, dürfen die betroffenen Frauen den Nachweis nicht verspätet vorlegen. Man muss den Nachweis aber nicht persönlich vorlegen, man kann das auch digital machen.  

Besteht eine Gefahr für das Kind, wenn Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen verschoben werden müssen?  

Im Normalfall geht man davon aus, dass bei einer komplikationslosen Schwangerschaft keine große Gefahr besteht. Die Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen sind so aufgeteilt, dass in jedem Drittel der Schwangerschaft ein Ultraschall vorgesehen ist. Aber ob ich den jetzt in der 29. oder in der 33. Woche mache, ist tolerabel. Generell hat man für eine solche Untersuchung immer ein paar Wochen Zeit. Und wenn man beispielsweise schon einen Combined Test hatte, dann hatte man schon ein sehr detailliertes Ultraschall und kann einige Dinge ausschließen.  

"Es gab die Empfehlung, dass die Partner:innen zur Geburt in den Kreißsaal hineindürfen." 

Noch kurz zur Geburt selbst: Darf ich als Partner mit in den Kreißsaal?  

Am 23. März gab es die österreichweite Empfehlung, dass die Partner:innen zur Geburt in den Kreißsaal hineindürfen. Allerdings ist das wie gesagt eine Empfehlung. Das heißt nicht, dass sich alle Krankenhäuser daran halten müssen. Zur Geburt dürfte man also, nicht aber zu den Untersuchungen und auch nicht ins Wochenbett auf die Station. Man muss auch aufpassen: Es heißt in der Empfehlung, dass eine Begleitperson erlaubt ist – das ist wichtig für Frauen, die eine Hebamme mitnehmen möchten. Da muss dann die Frau entscheiden, wer wichtiger ist. (lacht) Es ist natürlich eine furchtbare Maßnahme, aber es ist auch eine wichtige Maßnahme, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen. Sie ist zum Schutz der Eltern gedacht, aber natürlich auch zum Schutz des Pflegepersonals und der anderen Patient:innen. Die Ausnahme für den Kreissaal ist gemacht worden, weil wir wissen, dass es ein wichtiges Erlebnis im Leben der Eltern ist – und das kriegen sie nie wieder zurück. Das ist klar. Aber möglich ist das nur unter strengen Auflagen.  

Wie sieht es mit der Nachsorge nach der Geburt aus? Gibt es da Einschränkungen? 

Für die Nachsorge zuhause sind die niedergelassenen Hebammen zuständig. Da würde ich empfehlen, die Hebamme der Wahl zu kontaktieren, wie sie das handhabt. Wenn es das erste Kind ist, ist im Mutter-Kind-Pass zwischen der 18. und der 22. Woche das Hebammen-Gespräch vorgesehen. Es würde mich nicht wundern, wenn es Hebammen gibt, die das in der Zwischenzeit virtuell anbieten.  

Hast du Tipps für Schwangere, die sich gerade in Isolation oder sogar in Quarantäne leben?  

Es gelten die Dinge, die sonst auch gelten in der Schwangerschaft: Gesunde Ernährung, viele Vitamine zu sich nehmen, viel trinken und Bewegung machen. Daneben ist es natürlich wichtig, die üblichen Schutzmaßnahmen zu befolgen.  

Du warst zwei Mal mit Ärzte ohne Grenzen im Einsatz. Wenn du dich daran zurückerinnerst, siehst du irgendwo Parallelen zur aktuellen Situation hier in Europa?  

Ich finde es recht schwierig, hier Parallelen zu ziehen, da wir in Österreich immer noch ein viel besseres Gesundheitssystem haben als in Pakistan oder in der Demokratischen Republik Kongo. Am ehesten kann man vielleicht noch die Vorbereitungen auf die Cholera-Saison mit jenen Maßnahmen vergleichen, die hier schön langsam getroffen werden – z.B. geschützte Eingänge in die Spitäler, Lazarette etc. Was die Betreuung der Schwangeren betrifft, mag es uns zum jetzigen Zeitpunkt erscheinen, als gebe es eine Unterversorgung. Im Vergleich zu anderen Ländern ist sie aber immer noch ausgesprochen gut.  

Würdest du sagen, dass dir deine Erfahrungen aus den Einsätzen jetzt helfen, mit der Situation umzugehen?  

Ich denke, dass wir wohl alle besser auf das Arbeiten in Extremsituationen vorbereitet sind und uns besser auf einem Mangel an Material und Personal und ungewisse Situationen einstellen können. 

Verena, vielen Dank für das Gespräch!