Afghanistan: Ärzte ohne Grenzen versorgt Verwundete in Kundus während schwerer Kämpfe im Norden

18.05.2015
Intensive Kämpfe in der nordöstlichen Provinz Kundus - medizinischen Teams im Unfallspital von Ärzte ohne Grenzen versorgen mehr als 204 Kriegsverletzte, darunter 51 Frauen und Kinder.
Spring Offensive in the North of Afghanistan
MSF
Kundus, Afghanistan, 13.05.2015: Najiba (14) war gerade in der Küche, als eine Rakete ihr Haus traf, das über ihr zusammenstürzte. Als ihre Familie sie fand, dachten sie, das Mädchen sei tot. Doch das Najiba atmete noch - also wurde sie in das Unfallspital von Ärzte ohne Grenzen in Kundus gebracht.

In der nordöstlichen Provinz Kundus kam es im Rahmen der „Frühjahrsoffensive“ zu schweren Kämpfen zwischen afghanischen Streitkräften und bewaffneten Oppositionsgruppen. Die Gewalt isoliert die Menschen in den Bezirken der Provinzhauptstadt und erschwert für sie den Zugang zu medizinischer Hilfe. In Kundus-Stadt betreibt Ärzte ohne Grenzen ein Unfallkrankenhaus, wo unsere Teams Verletzte versorgen.

Kundus zählte während des anhaltenden Konflikts in Afghanistan zu den stabileren Provinzen. Doch seit vergangenem Jahr haben sich die Kämpfe deutlich verstärkt, und die aktuelle „Frühjahrsoffensive“ führte zu intensiven Gefechten. In den drei Wochen seit der Bekanntgabe der jährlichen „Kampfsaison“ haben die medizinischen Teams im Unfallspital von Ärzte ohne Grenzen mehr als 204 Kriegsverletzte versorgt. Der Großteil davon erlitt Schusswunden oder wurde bei Bombenexplosionen verwundet. Unter all den Verletzten waren auch 51 Frauen und Kinder.

Doppelt so viele Kriegsverwundete wie im Vorjahr

“Der Anteil Kriegsverletzter hat sich im Krankenhaus im Vergleich zum Vorjahreszeitraum mehr als verdoppelt, von 6 auf 14 Prozent“, so Laurent Gabriel, Koordinator von Ärzte ohne Grenzen im Unfallspital. „Die chirurgischen Teams versorgen schwere Verletzungen im Bauch- und Brustbereich, und viele Patienten benötigen eine Reihe komplizierter Operationen.“

Die Situation ist höchst instabil, der Zustrom an Verwundeten dementsprechend sporadisch – von einem Tag mit fünf Kriegsverwundeten zu einem anderen mit 35 Verletzten. Die täglich schwankende Zahl an Notaufnahmen zeichnet ein Bild der Unvorhersehbarkeit dieses Konflikts. Sie zeigt aber auch die Schwierigkeiten der Menschen beim Versuch, von einem der Bezirke das Krankenhaus in der Stadt zu erreichen.

Der Weg aus den Bezirken in die Stadt ist gefährlich

„Es ist schwer zu sagen, was in den Bezirken außerhalb der Stadt geschieht, wo gekämpft wird“, so Gabriel. „Wir sind sehr besorgt, dass die Menschen in diesen Gebieten aufgrund der anhaltenden Gefechte es nicht rechtzeitig zur medizinischen Versorgung ins Unfallspital schaffen. Sie müssen auch auf dem Weg in die Stadt mehrere Checkpoints passieren. Unsere Patienten berichteten, dass manche Straßen nach Kundus vermint sind, was sie zu langen Umwegen zwingt. In Anbetracht der Schwere der Verletzungen können solche Verzögerungen fatal sein.“

In den betriebsamen Stationen weigern sich manche Patienten, die ihre Behandlung abgeschlossen haben, aus dem Spital entlassen zu werden – zu groß ist ihre Angst, in ihre Bezirke zurückzukehren. In der gesamten Provinz Kundus schränkt die Bevölkerung ihre Bewegungen auf das absolute Minimum ein und versucht nach Möglichkeit, innerhalb eines Gebäudes zu bleiben. In Folge dessen ist die Zahl der Verletzten nach Verkehrsunfällen im Unfallspital rapide zurückgegangen – von 109 Patienten und Patientinnen in der ersten Aprilwoche auf nur mehr rund sechzig in der ersten Maiwoche. Doch die Notaufnahme ist weiterhin äußerst beschäftigt; die medizinischen Teams haben alleine in den vergangenen drei Wochen 1.470 Patienten und Patientinnen versorgt.

Chronischer Konflikt gefährdet Zivilbevölkerung

„Seit mehr als einem Jahr wird Kundus von militärischen Operationen erschüttert. Die Provinz ist eine chronische Konfliktzone, wo sich die Regierungs- und Oppositionskräfte ständig in denselben Gebieten bekämpfen“, so Guilhem Molinie, Landesrepräsentant von Ärzte ohne Grenzen. „Die lokale Bevölkerung hat keine andere Wahl, als mit ihrem normalen Leben weiterzumachen – doch die Menschen sind ständig der Gefahr ausgesetzt, erschossen oder getötet zu werden, während sie in ihrem Hof sind, ihre Felder bestellen oder zum Bazar gehen.“

Lesen Sie hier den Bericht der 18-jährigen Bibi, die nach einer schweren Verletzung im Unfallkrankenkhaus in Kundus versorgt wurde und nun wieder gehen lernt:

Zu Bibis Geschichte

Ärzte ohne Grenzen ist seit 1980 in Afghanistan tätig. In Kundus arbeiten, wie auch in anderen Teilen des Landes, sowohl internationale als auch einheimische Teams zusammen, um die bestmögliche medizinische Betreuung zu ermöglichen. Die Organisation unterstützt das Gesundheitsministerium im Ahmad Shah Baba Krankenhaus im östlichen Kabul, das Mutter-Kind-Spital in Dasht-e-Barchi im westlichen Kabul und das Boost-Krankenhaus in Lashkar Gah in der Provinz Helmand. In Khost im Osten des Landes betreibt Ärzte ohne Grenzen eine Frauenklinik. Ärzte ohne Grenzen akzeptiert für seine Arbeit in Afghanistan keinerlei Regierungsgelder und finanziert die Aktivitäten ausschließlich über private Spenden.